Analyse Der Herr der begrenzten Provokationen

Meinung | Solingen · Der Solinger Fatih Zingal verteidigt in TV-Talkshows die Politik des türkischen Präsidenten Erdogan. Am Sonntag trat der Jurist bei "Anne Will" auf - und erntete nachher viel Kritik. Solche Angriffe kann der 37-Jährige jedoch nicht nachvollziehen.

 Fatih Zingal ist stellvertretender Vorsitzender der Union Europäisch-Türkischer Demokraten.

Fatih Zingal ist stellvertretender Vorsitzender der Union Europäisch-Türkischer Demokraten.

Foto: NDR / Wolfgang Borrs

Fatih Zingal ist es als Anwalt gewohnt, die Wirkung seiner Worte abzuwägen. Doch es macht einen Unterschied, ob man in einem Gericht ein Plädoyer hält, oder aber eine politische Botschaft bei einer TV-Talkshow einem Millionen-Publikum nahebringen möchte. Zumal es bei Formaten wie etwa "Anne Will" nicht nur darauf ankommt, sich in dem wilden Durcheinander der Diskussion Gehör zu verschaffen. Sondern es muss auch beachtet werden, nicht missverstanden zu werden. Oder doch zumindest so zu formulieren, dass einem kein "Strick" aus dem Gesagten gedreht werden kann.

Jedenfalls dürfte sich der gebürtige Solinger Zingal nach seinem Auftritt bei "Anne Will" am Sonntag über die Reaktionen, die es im Nachklang gab, nicht wirklich gewundert haben: In Medien und sozialen Netzwerken hagelte es Kritik. Denn in der Sendung mit dem Titel "Putschversuch in der Türkei: Was macht Erdogan jetzt?" hatte sich der 37-Jährige von Beginn an auf die Rolle des "Bad Guy" eingelassen - und diese bis zum Ende überzeugend gegeben. Während andere Diskutanten, etwa Grünen-Chef Cem Özdemir, die Türkei nach dem Putsch vom Wochenende auf dem Weg in eine Diktatur wähnten, verteidigte Zingal als Vize-Vorsitzender der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) die Entwicklung stur als einen Sieg der Demokratie.

Angesichts der massenhaften Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien in den ersten Tagen nach dem Putsch und martialischer Äußerungen von Erdogan-Anhängern ist dies aber eine zweifelhafte These, die Fatih Zigal gestern dementsprechend zu relativieren versuchte. "Ich bin schon als Rechtsanwalt gegen die Todesstrafe", sagte der Solinger beispielsweise im Gespräch mit unserer Redaktion und fügte hinzu: "Würde es dazu kommen, was ich nicht glaube, würde dies das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten".

Wohl wahr - und selbstverständlich trifft es ebenso zu, dass Zingal und seine UETD keine offiziellen "Sprachrohre" des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie von dessen Partei AKP sind, wie der Solinger am Montag noch einmal ausdrücklich betonte. Gleichwohl kann Zingal über die negative Resonanz, die seine Äußerungen hervorriefen, nicht so "erschrocken" gewesen sein, wie er später sagte. Denn allen Bekundungen zum Trotz, er sei "kein Polit-Profi" und habe schon deshalb in TV-Shows wie "Anne Will" einen schweren Stand: Zingal beherrscht die sprichwörtliche Klaviatur der zwar begrenzten, aber gezielten politischen Provokation durchaus virtuos. Er weiß, wie man sich im hektischen und vor allem auf griffige Schlagzeilen fixierten Fernseh-Geschäft Gehör verschafft - und dürfte seine Verteidigungsreden zugunsten Erdogans mit Bedacht gehalten haben

Allein: Ob Fatih Zingal sich damit auf Dauer einen Gefallen tut, muss bezweifelt werden. Immerhin legt der Jurist bei seinen Interpretationen den Schwerpunkt vor allem auf frühere "Verdienste" Erdogans wie etwa die begonnene Aussöhnung mit den Kurden sowie die Entmachtung der alten undemokratischen Eliten. Und negiert so, dass all jene Errungenschaften längst wieder einkassiert werden. Im Klartext: Zingal macht sich sehr wohl zum "Sprachrohr" einer immer offeneren Diktatur, wobei dieses "Label" auch dann noch an dem Solinger haften wird, wenn niemand mehr die fatalen Folgen der Erdogan-Politik übersehen kann.

Dabei ist Zingal durchaus ein Repräsentant jüngerer Deutsch-Türken. Als "Arbeitnehmer-Kind" war es ihm möglich, zu studieren - weswegen sich der Solinger lange in der SPD engagierte. "Für viele von uns war die Partei einige Zeit politische Heimat", sagt Zingal heute, der die Sozialdemokraten 2014 nach rassistischen Äußerungen Thilo Sarrazins verlies, der Deutsch-Türken kollektiv beleidigt hatte. Allerdings hat der 37-jährige Zingal seitdem kein neues politisches Zuhause mehr gefunden, was wohl auch dem Umstand geschuldet ist, dass sich jüngere Deutsch-Türken, die Zingal als mehrheitlich "liberal-konservativ" bezeichnet, mit einer Verortung im deutschen Parteienspektrum weiter schwer tun.

Bisweilen tut sich zwischen Deutsch-Türken und anderen Gruppen noch immer eine Kluft auf. Etliche Deutsch-Türken hängen bis heute einem traditionellen Wertekanon an, der sich aus dem muslimischen Glauben speist sowie einen türkischen Nationalstolz hochhält - und der es, parallel zu einer allgemeinen Sprachlosigkeit auch von "deutscher" Seite, den Betroffenen in der Tat schwer macht, hierzulande eine politische Heimat zu finden.

Dies erscheint für sich noch nicht kritikwürdig. Gleichwohl ist es nun - nicht nur, aber eben auch - Aufgabe von Deutsch-Türken wie Fatih Zingal, die innere Zerrissenheit der eigenen Identität zu überwinden. Denn eines sollte allen klar sein: Erdogans AKP ist für Demokraten längst keine politische Heimat mehr.

(RP)
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