Analyse Der Weg der Islamisten ins private Abseits

Solingen · Die Szene der Salafisten und "Gefährder" in der bergischen Region ist vergleichsweise groß. Dabei handelt es sich aber keineswegs um ein Naturgesetz. Man kann den Radikalen das Wasser abgraben - wenn Muslime wie Nicht-Muslime klare Kante zeigen.

Für sich genommen scheint es zunächst einmal eine gute Nachricht zu sein. Die Solinger Salafistenszene, die vor einigen Jahren - zum Beispiel durch eine Straßenschlacht mit der Polizei - für bundesweite Schlagzeilen sorgte, ist bis auf wenige Ausnahmen aus dem öffentlich wahrnehmbaren Bild der Stadt verschwunden.

Doch in Wirklichkeit besteht keinerlei Anlass zur Entwarnung. In dieser Woche bestätigte die Polizei auf Anfrage unserer Redaktion, dass sie die Zahl der "Gefährder", also die Summe potenzieller Terroristen, in der bergischen Region für höher hält als etwa im Großraum Düsseldorf. und nach Informationen aus dem NRW-Innenministerium stehen nach wie vor zwei Solinger Moscheen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.

Indes - und das ist die eigentlich beunruhigende Botschaft - Moscheen schon seit längerem gar nicht mehr die "Hotspots" sind, wenn es für die radikalen Muslime darum geht, neue, vor allem junge Gesinnungsgenossen zu rekrutieren. Die Szene hat sich großteils in Privatwohnungen zurückgezogen, was es für die Behörden noch schwieriger macht, die Gewaltbereiten unter den Salafisten im Auge zu behalten.

Grund zur Resignation besteht gleichwohl nicht. Es gibt Möglichkeiten, die scheinbar unaufhaltsame Faszination, die der Islamismus auf Jugendliche ausübt, zu bremsen. Dazu muss allerdings von der Stadtgesellschaft der Mut kommen, auch unerfreuliche Entwicklungen in der muslimischen Community beim Namen zu nennen.

Rückblende: Als der Imam einer Solinger Ditib-Moschee bei einem Begegnungstreffen vor einigen Jahren jungen Leuten, die aus seiner Sicht kein gottgefälliges Leben führten, mit der ewigen Verdammnis in der Hölle drohte, herrschte unter den anwesenden nicht-muslimischen Honoratioren betretenes Schweigen. Und gleiches war zu beobachten, als nach den salafistischen Ausschreitungen von 2012 wegen rechtsradikaler Provokateure Vertreter von Millî Görüs drohten, ihre Geduld sei ebenfalls bald aufgebraucht.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ditib und Millî Görüs haben nichts mit Salafisten und "Gefährdern" zu tun. Aber die Beispiele zeigen, dass auch in Organisationen, die in Solingen als Ansprechpartner gelten, Vorstellungen vorhanden sind, die bestenfalls vormodern, in jedem Fall jedoch problematisch sind.

Wobei vor allem die Äußerungen der Millî-Görüs-Leute ebenso durchschaubar wie sinnlos waren: Man wollte vor den eigenen jungen Mitgliedern eine Entschlossenheit zeigen, die andere im Zweifelsfall viel "glaubhafter" verkörpern. Wozu im Übrigen passt, dass sich der Deutschland-Chef von Millî Görüs gestern nicht zu schade war, das Urteil des europäischen Menschengerichtshofs zur Teilnahme muslimischer Schülerinnen am Schwimmunterricht als "Kulturkampf" zu geißeln.

Ausgerechnet, möchte da mancher sagen. Doch Polemik ist fehl am Platze. Denn wir sind am alles entscheidenden Punkt angelangt. Mit Radikalen kann man, wenn es überhaupt geht, zwar reden - doch man darf sie nicht kopieren, auch nicht in einzelnen Dingen. Dies müssen die Nicht-Muslime den "offiziellen" Vertretern der Solinger Muslime unmissverständlich klar machen.

In der Klingenstadt wurden nach dem mörderischen Brandanschlag von 1993 Strukturen der Integration geschaffen, die ihresgleichen suchen. Und jene Strukturen sollten endlich selbstbewusst genutzt werden. Damit sich in Solingen nicht immer wieder junge Menschen in dem privaten Abseits der Islamisten verlieren.

(or)
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