Serie - 70 Jahre nach Kriegsende Die letzten Kriegstage im Keller versteckt

Solingen · Hans Gerd Kurz erlebte das Ende des Zweiten Weltkriegs in Ohligs. Kurz vor Ende sollte der 15-Jährige einberufen werden.

Die letzten Kriegstage sind für Hans Gerd Kurz aufregend. Er wohnt nahe dem Ohligser Bahnhof in der Sauerbreystraße 11, wo seine Familie ein Lebensmittelgeschäft betreibt. Daher ist Kurz in den letzten zwei, drei Wochen nachts für den Bahnhofsdienst eingeteilt. Hier versorgt er Flüchtlinge und Soldaten, die zu Tausenden in Zügen in Ohligs halten, mit Proviant. Immer wieder wird die Arbeit durch Luftangriffe gestört, die Alliierten versuchen, die Bahnstrecke noch zu zerstören.

Bei einem Angriff wird das Haus der Familie stark beschädigt. Sie kommt bei den Großeltern am Hermann-Löns-Weg unter. Als der Vater im zerstörten Haus am Bahnhof aufräumt, findet er in den Trümmern ein Schreiben, das noch zugestellt worden ist. Es ist der Einberufungsbescheid für den 15-jährigen Hans Gerd. Der erinnert sich: "Damit ich dem entging, versteckten mich meine Eltern in Haan bei Bekannten im Keller, verdeckt durch einen großen Haufen alter Möbel und andere Utensilien." Die Familie hofft auf die baldige Ankunft der Amerikaner. Erst als die US-Truppen nah sind und keine Gefahr mehr besteht, noch eingezogen zu werden, wagt sich Hans Gerd Kurz aus dem Versteck und macht sich auf den Weg zurück zu den Großeltern.

Dort gibt es unangekündigten Besuch: Ein Trupp Soldaten, vielleicht fünf Mann, steht vor der Wohnung der Großeltern am Hermann-Löns-Weg 4. Doch sie führen nichts Böses im Schilde. Um sich vor der amerikanischen Gefangenschaft zu retten, bitten die Männer um Zivilkleidung. Sie gehören zur Kölner Flak-Einheit, von der der Vater einige Monate zuvor entlassen worden war, und kennen wohl daher die Adresse. Rasch beschaffen die Großeltern zivile Kleidung, und nach wenigen Stunden verlassen die Soldaten die Wohnung schon wieder. Der 60-jährige Großvater führt die Männer über Schleichwege in die Wupperberge. Von dort finden sie ihren Weg nach Hause. Bei den Großeltern erlebt der heute 85-jährige Hans Gerd Kurz am 16. April das Eintreffen der Amerikaner. In der Nähe hat der Volkssturm, dem auch der Großvater angehört, kurz zuvor noch eine Straßensperre aus Eichenstämmen errichtet. Doch als die Amerikaner eintreffen, ist das Hindernis schon abgebaut. Von Hilden aus durch Wald und die Heide rücken die US-Soldaten nach Ohligs vor. "Sie kamen just über den Hermann-Löns-Weg und durchkämmten alle Gebäude, Häuser und Wohnungen", erinnert sich Hans Gerd Kurz. "Nicht gewaltsam und wild, sondern diszipliniert und flüchtig", wie er betont. "Im Großen und Ganzen ist es sehr ruhig verlaufen, es hat sich nichts Spektakuläres abgespielt." Kurz erinnert sich, dass man sich "verängstigt und befremdet" benommen habe. Zugleich sei die Erleichterung spürbar gewesen: "Es ist jetzt vorbei, wir können aufatmen." Als die Amerikaner weitergezogen sind, wagt sich die Familie auf die Straße. Am Schützenplatz sieht Hans Gerd Kurz Nachbarn und andere Menschen weiße Tücher schwenken. Hier fahren die Fahrzeuge der Amerikaner von Süden über die heutige Bonner Straße "in nicht endender Kolonne" in Ohligs ein. Als die Amerikaner in Richtung Innenstadt abgezogen sind, geht die Familie heim.

Doch der Tag ist noch nicht zu Ende: "Ich erinnere mich, dass wir Jungens am gleichen Tag und danach den Wald durchkämmten, in dem die abziehenden deutschen Soldaten zahlreiche Verpflegungsfahrzeuge hinterlassen hatten." Auch Munition und Waffen liegen dort herum, mit denen vereinzelt Jugendliche herumhantieren, wobei auch es zu Unfällen kommt.

Nach dem Krieg besucht Hans Gerd Kurz weiter das Humboldtgymnasium am Weyer, studiert später in Köln und arbeitet ab 1965 als selbstständiger Steuerberater in Ohligs. Seit 2002 lebt er mit seiner Frau in Gehlweiler im Hunsrück.

(bjd)
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