Solingen Einblick in die Welt der Heimarbeiter

Solingen · Im LVR-Industriemuseum ist nicht nur die Gesenkschmiede Hendrichs zu bestaunen: Die originalen Heimarbeiterwerkstätten im Obergeschoss zeigen die komplette Fertigung einer Schere.

 Glut und Wasserbad: Hans-Jürgen Schrage hat die Scherenproduktion von der Pike auf gelernt. Im Industriemuseum erweckt er für Besucher die Werkstätten zusammen mit Johann Scharkin und Fritz-Werner Kreitzberg zum Leben.

Glut und Wasserbad: Hans-Jürgen Schrage hat die Scherenproduktion von der Pike auf gelernt. Im Industriemuseum erweckt er für Besucher die Werkstätten zusammen mit Johann Scharkin und Fritz-Werner Kreitzberg zum Leben.

Foto: Mak

Das Solinger Erfolgsrezept für Schneidwaren hieß Arbeitsteilung. Wie dies bei der Herstellung von Scheren funktionierte, sehen Besucher im LVR-Industriemuseum: Die Gesenkschmiede stellte in industrieller Fertigung viele tausend Scherenrohlinge her. Aber erst spezialisierte, selbstständige Heimarbeiter fertigten daraus harte, scharfe, gebrauchsfähige Scheren.

Im Obergeschoss geben originale Heimarbeiterwerkstätten Einblick in die Arbeitswelt dieser Kleinunternehmer, die einst so typisch waren für die Struktur der Solinger Wirtschaft. 12.000 Heimarbeiter gab es in den 1920er Jahren, wie Museumsleiter Dr. Jochem Putsch sagt. Die meisten von ihnen waren Schleifer. Heute gibt es noch etwa 20 bis 30 solcher Betriebe, von denen fünf noch Scheren produzieren.

Beispielhaft sind im Industriemuseum drei Werkstätten zu sehen, die früher in unmittelbarer Nähe in Merscheid produzierten: Die Scherenhärterei Angermund stand an der Herzogstraße, die Scherennagelei und Augenpliesterei Ohliger an der Hammerstraße und die Schleiferei Leverkus an der Becher Straße. Alle drei Werkstätten wurden vollständig und betriebsfähig im Museum wieder aufgebaut. "Wir haben die Werkstätten komplett übernommen mit jedem Nagel", betont Jochem Putsch. Dokumentationsfilme zeigen, wie darin am alten Standort gearbeitet wurde.

Doch die originalgetreueste Werkstatt wäre ein toter Ort ohne fähige Handwerker darin. Drei Männer erwecken die Werkstätten für Besucher zum Leben, so dass es dort rattert, schleift und Funken fliegen. Sie haben das Scherenmachen von der Pike auf gelernt: Scherenschleifer Johann Scharkin (66) betreut die Scherennagelei und Augenpliesterei und war selbst noch Heimarbeiter. Hans-Jürgen Schrage (53) war früher Scherenmonteur bei Dovo und erlernte zusätzlich das Härten und Schleifen, was er nun in der Härterei vorführt. Fritz-Werner Kreitzberg (73) arbeitet in der Schleiferei und leitete früher das auf Friseurscheren spezialisierte Unternehmen Cerena. Er sagt: "Außer Schmieden habe ich alle anderen Arbeitsschritte gelernt." Damit die Museumsbesucher erleben können, wie eine Schere vom Stahlstück zum Schneidwerkzeug wird, produziert die Gesenkschmiede kontinuierlich Scherenrohlinge. Ein Teil davon durchläuft in den Werkstätten den gesamten Herstellungsprozess - Schmieden, Stanzen, Härten, Schleifen, Schärfen, Montieren - und ist als "Museumsschere" zum Preis von 12 Euro an der Kasse erhältlich. Etwa 100 bis 150 Stück der ursprünglich für Buchbinder entworfenen Schere verkauft das Museum im Jahr, wie Hans-Jürgen Schrage schätzt.

Die Fachleute bieten noch einen zusätzlichen Service: Sie schärfen dienstags und donnerstags gegen eine geringe Gebühr in den Werkstätten stumpfe Messer und Scheren. Interessenten können diese einfach an der Museumskasse abgeben.

(bjd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort