Solingen Erdogans Geheimdienst in Solingen aktiv

Solingen · Die Affäre um die Bespitzelung von Erdogan-Gegnern zieht Kreise bis in die Klingenstadt. Auch ein Solinger steht auf einer Liste des türkischen Geheimdienstes. Der polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen aufgenommen.

Gut zwei Wochen vor dem Referendum in der Türkei zu einer geplanten Verfassungsänderung wird die Lage für Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan auch in der Klingenstadt immer bedrückender. So wurde nun bekannt, dass auf einer Liste des türkischen Geheimdienstes MIT mit insgesamt fast 360 ausspionierten Personen unter anderem ein Solinger Bürger auftaucht.

Die Polizei bestätigte dies gestern auf Anfrage unserer Redaktion. "Es gibt im gesamten bergischen Städtedreieck mehrere solche Fälle", sagte eine Sprecherin des auch für Solingen zuständigen Polizeipräsidiums Wuppertal. Das Landeskriminalamt NRW habe vor einigen Tagen die zuständigen Beamten darüber informiert. Daraufhin sei der polizeiliche Staatsschutz eingeschaltet worden, der mittlerweile Kontakt zu den Betroffenen aufgenommen habe.

Zwar existierten im Moment keine Anhaltspunkte auf eine konkrete Gefährdung der ausgekundschafteten Personen, betonte die Polizeisprecherin. Dennoch nehmen sie und ihre Kollegen die Situation durchaus ernst. Beispielsweise habe man dem auf der Geheimdienstliste aufgeführten Solinger sowie allen anderen Ausspionierten dringend geraten, zurzeit nicht in die Türkei zu reisen, hieß es gestern bei der Polizei.

Der türkische Geheimdienst MIT hatte in den vergangenen Monaten offenbar systematisch Menschen auch in Deutschland ausgekundschaftet. Diese Machenschaften waren schließlich an die Öffentlichkeit gelangt, nachdem die Türken im Februar dem Bundesnachrichtendienst die betreffende Liste mit der Bitte um Amtshilfe ausgehändigt hatten. Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen.

Derweil heizt sich die Situation auch in Solingen unter den hier lebenden Deutschtürken weiter auf. Ein Insider berichtete am Donnerstag einmal mehr von massiven Einschüchterungsversuchen durch Erdogan-Anhänger. Zwar bestehe seiner Einschätzung nach momentan keine ernsthafte Gefahr von körperlichen Angriffen auf Gegner des türkischen Präsidenten. Dennoch sei das alltägliche Klima zunehmend vergiftet.

"Jede Kritik an Erdogan wird als eine Art Landesverrat aufgefasst", sagte der Solinger, der darauf verwies, dass unter solchen Bedingungen eine normale Diskussion nahezu unmöglich geworden sei. "Vielmehr kommt es häufig zu hässlichen Situationen in der türkischen Community", so der Insider. Tatsächlich spielen dabei die sozialen Medien im Internet eine große Rolle - wobei die Aggressionen im richtigen Leben ebenfalls mehr und mehr ankommen. So klagte gestern ein Geschäftsmann, er erhalte mittlerweile spürbar weniger Aufträge, da er sich als Erdogan-Gegner geoutet habe.

Grund genug für die Polizei, noch einmal an die Betroffenen zu appellieren, sich bei möglichen Straftaten an die Behörden zu wenden. "Wenn es etwa zu Bedrohungen kommt, sollten wir eingeschaltet werden", betonte die Polizeisprecherin.

(or)
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