Solingen Gegensätze ziehen sich eben magisch an

Solingen · Amüsant, witzig und auch hintergründig: das Kammerspielchen Gräfrath zeigt die Komödie "Bleib doch zum Frühstück".

Er gehört zu den Typen, über die etwas in der Zeitung stände, wenn er einmal eine Stunde früher Dienstschluss machen würde. Pflicht und Ordnung sind sein Leben. Als angestaubter Beamter bei der Londoner Versorgungsanstalt hat sich George - mit Fliege, Weste, Küchenschürze und Gummihandschuhen bewaffnet - in seinem kleinen, spießigen und einsamen Leben eingerichtet. Dienstags ist Bridge-Abend mit Freunden, mittwochs Abendessen mit seiner Schwester Helen. Das war es auch schon. Ach ja, die hypochondrische Helen nervt den 40-Jährigen täglich mit ihren Anrufen. "Ich glaub', ich kack' an die Wand", sagt dazu nur die junge, mehr als flippige Louise, als sie eines Tages in seiner Wohnung auftaucht, die wie ein Antiquitätenladen wirkt. Die hochschwangere 17-Jährige in kurzer Latzhose und langen Leggings ist gerade aus der Wohngemeinschaft im Stockwerk über George abgehauen und möchte den schüchternen Junggesellen zu gerne anpumpen.

Bei dieser Konstellation eines Zwei-Personen-Stücks kann nur einer die Finger im Spiel haben: der britische Erfolgsautor Ray Cooney. Zusammen mit Gene Stone verfasste er die Boulevard-Komödie "Bleib doch zum Frühstück", die aktuell auf der Bühne der Kammerspielchen in Gräfrath zu sehen ist. Das Stück erlebte 1970 seine Uraufführung in London und spielt mit den Klischees zwischen Hippiekultur und Kleinbürgerlichkeit. Dass der Stoff aber heute noch aktuell ist, zeigt, wie Cooney und Stone mit spitzer Feder uralte Generationskonflikte aufgespießt haben. Und in der witzigen und hoch amüsanten Inszenierung von Hans Richter ist diese Komödie mehr als aktuell.

Aber es liegt auch an zwei tollen Darstellern. Silvia Munzón Lopéz ist eine herrlich freche und dreiste Louise, die es bestens versteht, George in seiner kleinen, miefigen Welt zu provozieren. Herrlich verklemmt gibt Dirk Volpert den kleinen Beamten, den die Situation sichtlich überfordert, als Louise sich bei ihm einnistet. Aber beide Darsteller verstehen es auch bestens, die leisen Zwischentöne zum Schwingen zu bringen. Etwa wenn George von seiner gescheiterten Ehe berichtet. Oder wenn Louise bekennt, sich doch nach bürgerlicher Geborgenheit zu sehnen. Als mitreißend burlesken Höhepunkt gestalten die beiden Schauspieler das Finale des ersten Aktes: Bei Louise gehen die Wehen los. Da soll Singen helfen. Und George muss mitsingen. "Singen? Dann kommt das Baby bestimmt - um sich zu beschweren."

Als Mutter und Quasi-Vater richten die beiden sich in der seltsamen Situation ein und kommen sich näher. Und vor allem: Sie ändern sich. George wird aufmüpfig gegenüber Chef und Schwester, er bekommt geradezu Spaß an seinem neuen, unkonventionellen Leben. In Louise brechen die Sehnsüchte nach einer liebevollen und geordneten Beziehung durch. Sie versteht es, Georges verkrusteten Charakter aufzubrechen und aufblühen zu lassen. Er kann Louise mit Wärme und - durchaus übertriebener - Fürsorge aus ihrer rebellischen Reserve locken. Denn beiden Darstellern gelingt das im Kammerspielchen auf eine sehr beglückende und muntere Art.

Im dritten Akt steht dann nochmal alles auf Messers Schneide, als die alten Konflikte fast ausweglos wieder hochkochen. Louise will mit ihrem Baby das Weite suchen, George ebenfalls - natürlich zu seiner Horror-Schwester. Wie das wohl ausgehen mag? Gut natürlich in dieser turbulenten und durchaus hintergründigen Inszenierung. Aber wie, wird nicht verraten.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort