Analyse Gericht schickt Rechtsstaat in Verlängerung

Solingen · In den Salafisten-Prozessen wichen die Urteile bislang weit von den Forderungen der Anklage ab. Diese geht darum in Berufung.

Markus Asperger ahnte wohl schon, was auf ihn und seine Richterkollegen zukommen würde. Jedenfalls stellte der Direktor des Solinger Amtsgerichts noch vor dem Beginn des ersten der sogenannten Salafisten-Prozesse eines in aller Deutlichkeit klar: "Der Salafismus ist keine Straftat."

Der Hinweis war richtig und wichtig. Schließlich verlangen Teile der Öffentlichkeit immer dann besonders harte Strafen, wenn Angeklagte im Verdacht stehen, aus religiösen beziehungsweise politischen Motiven gewalttätig geworden zu sein. Das war bei den radikalen Muslimen, die am 1. Mai 2012 vor dem Solinger Rathaus auf Polizisten losgingen, gewiss der Fall. Und so machten die Worte des Amtsgerichtsdirektors auf alle Fälle einen Sinn: Der Salafismus allein ist nicht strafbar.

Die Taten, für die nun bereits einige der radikalen Muslime verurteilt wurden, sind es aber sehr wohl. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in besonders schweren Fällen, Landfriedensbruch in besonders schweren Fällen, gefährliche Körperverletzungen sowie zuletzt auch noch Bedrohung — am Amtsgericht wurde keineswegs über Kleinigkeiten verhandelt. Die Salafisten griffen Polizisten mit Stöcken sowie Steinen an, verletzten einige Beamte — und das alles, weil Rechte von Pro NRW nicht verbotene Mohammed-Karikaturen zeigten.

Das Gesetz sieht für die Taten der Salafisten Haft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Doch bis auf eine Ausnahme gab es nur milde Bewährungsstrafen. In der zurückliegenden Woche konnte sogar der Organisator der Salafisten-Demo mit einer lediglich neun Monaten auf Bewährung das Gericht wieder als freier Mann verlassen.

Die Vorsitzende Richterin begründete das milde Urteil nach der nur zweieinhalb Stunden dauernden Verhandlung unter anderem damit, besagter Hassan K. sei geständig, habe den Gewaltexzess vom Maifeiertag 2012 vor dem Solinger Rathaus wohl nicht geplant, sich im Verfahren entschuldigt und sei darüber hinaus noch nicht vorbestraft.

Weniger Berücksichtigung fanden hingegen Aussagen von Polizisten, denen gegenüber K. schon vor Beginn der Demo Gewalt androhte, sollten die Karikaturen gezeigt werden. Auch die Einschätzung des Staatsschutzes, der Mann sei gefährlich, fiel nicht so sehr ins Gewicht. Und selbst Hassbotschaften, die Hassan K. nach der Demo im Netz verbreitete, änderten nichts an der letztlich positiven Sozialprognose des Gerichts. Einer der führenden Köpfe der deutschen Salafisten-Szene muss bis auf weiteres nicht in Haft — und der Rechtsstaat geht in die juristische Verlängerung.

Die Staatsanwaltschaft wird — wie schon bei den Urteilen zuvor — auch im Fall Hassan K. Berufung einlegen. Denn die Anklagevertreter teilen den Optimismus des Gerichts nicht, die verurteilten Täter wären fortan geläutert.

Tatsächlich geben die Solinger Auftritte der Salafisten — auch der von Hassan K. — kaum Anlass zu dieser Hoffnung. Als K. in dieser Woche als freier Mann das Gericht verließ, grüßte er seine mitgereisten Glaubensgenossen mit einem erhobenen Zeigefinger.

Einer der Adressaten dieser triumphalen Geste war ein gewisser Bernhard F., ein wegen Sprengstoffanschlägen verurteilter ehemaliger Linksterrorist, der in seiner Haft zum Islam konvertierte. Seit seiner Freilassung 2008 fiel F. vor allem durch im Internet verbreitete Botschaften auf, die keinen Zweifel daran lassen, dass der heute in Dortmund lebende Neu-Salafist — wie Freund Hassan K. — für die freiheitlich-demokratische Grundordnung weiter nur Verachtung übrig hat.

Noch einmal: Das ist nicht strafbar, darf aber bei der Strafzumessung für eine politisch-religiöse Tat durchaus eine Rolle spielen. Denn immerhin gibt es neben der ohnehin eher brüchigen positiven Sozialprognose noch einen weiteren Aspekt im Strafrecht: den der Generalprävention.

Diese verfolgt zwei Ziele: die Abschreckung, weitere Taten zu begehen, sowie den Schutz der Gesellschaft vor neuen Taten. Letzteres rechtfertigt natürlich nicht, dass ein Täter eine unangemessen hohe Strafe bekommt, nur damit dem Rechtsempfinden in der Bevölkerung Genüge getan wird.

Nur eines ist auch klar: Zwischen "ein Exempel statuieren" und den bislang verhängten milden Urteilen gibt es noch viele andere Möglichkeiten der Sanktion — man denke an den Strafrahmen für die in Rede stehenden Taten.

Dabei geht es gar nicht darum, Höchststrafen durchzupeitschen. Vielmehr sollte der Rechtsstaat nur konsequent seine Grundsätze vertreten. Das Signal hätte dementsprechend lauten müssen: Wir verteidigen mit unseren Mitteln unsere Rechtsordnung.

Nichts anderes verlangte die Staatsanwaltschaft in den bisherigen Salafisten-Prozessen. Im Fall des Rädelsführers Hassan K. waren 18 Monate ohne Bewährung beantragt. Man darf gespannt sein, wie das Landgericht in der juristischen Verlängerung entscheidet.

(RP)
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