Solingen Glocken läuten seit 60 Jahren

Solingen · Weil die meisten Glocken 1942 für Kriegsmaterial eingeschmolzen werden mussten, bekam die Lutherkirche 1959 neue Glocken. Sie klingen bis heute unverändert. Die vier Glocken sind aus Stahl. Das Material ist preiswerter als Bronze, denn schon damals musste gespart werden.

Schon 1950 herrschte in der Luthergemeinde Geldknappheit. Aus diesem Grund entschied man sich für die kostengünstigere Variante eines Geläuts aus Stahl. Die Inschriften wurden denen der Glocken des ursprünglichen Bronze-Geläuts nachempfunden. Der 31. Oktober ist für die Lutherkirche ein besonderes Datum - nicht nur, dass es der Reformationstag ist, am 31. Oktober 1901 wurde die Lutherkirche, damals noch als "Neue Kirche", eingeweiht. Und am 31. Oktober 1950 wurde das neue Geläut aus vier Stahlglocken eingeweiht.

Das ist nun 60 Jahre her. Seitdem erklingen sie in ihren gewohnten Tönen. Sie sind nämlich auf b, des, es und ges eingestimmt. In dieser Reihenfolge gehört, bilden sie den Anfang der Melodie des altkirchlichen Te Deums "Herr Gott, dich loben wir". Anfangs, als Lutherkirche, Dorper Kirche und Stadtkirche noch eine einzige Kirchengemeinde waren, gab es insgesamt 10 Glocken. Neun davon mussten 1942 für Kriegsmaterial eingeschmolzen werden. Nur eine einzige Glocke blieb in der Stadtkirche hängen.

Obwohl Hansjörg Schweikhart vom Lutherkirchen-Bauverein intensiv recherchiert hat, konnte er den Verbleib der Solinger Kirchenglocken nicht mehr nachverfolgen. "Ihre Spur verliert sich in einem kleinen Ort in Thüringen", sagt er. 1950 wurden schließlich neue Glocken angeschafft. "Damals hatte man auch schon die Sorge, zu viel Geld auszugeben", erzählt Schweikhart. So entschied sich das Presbyterium, nach langen ernsthaften Diskussionen endlich dazu, anstelle der teuren Bronzeglocken das Angebot des Bochumer Vereins für Gußstahlfabrikation über ein Vier-Glocken Stahlgeläut anzunehmen. Dies wurde dann mit Hilfe der Freiwilligen Feuerwehr in den Glockenturm gehoben. "Um die Glocken durch die Tür zu bekommen, musste die Säule abgebaut werden", weiß Schweikhart. Die beiden kleineren Glocken konnte man im Mittelgang aufstellen. Auf Rollen, Schienen und Balken wurden sie Zentimeter für Zentimeter vorwärts bewegt. Die beiden Großen jedoch mussten auf Planken gehievt werden, die man über die Bänke gelegt hatte. Zehn Tage dauerte es, um die Glocken vom Vorplatz bis in den Glockenturm zu bringen. Denn es war nicht nur nötig, den Kronleuchter zu beseitigen, auch mussten die Decken geöffnet werden, um einen Durchlass für die Glocken zu schaffen. Winden wurden angebracht, teilweise in schwindelnder Höhe 40 Meter über dem Kirchenschiff. Endlich schwebten die Glocken lautlos durch die Kirche nach oben.

Der Festgottesdienst am 31. Oktober 1950 war so gut besucht, dass in der Festschrift vermerkt wurde: "Tausende wollten Zeugen dieses Ereignisses sein. Als 2000 in der Kirche waren, war kein Sitz- oder Stehplatz mehr da. Und Hunderte mussten umkehren."

Seitdem sind die stählernen Rufer und Mahner dauerhaft im Einsatz. Wie ein altes französisches Sprichwort sagt: "Selbst der liebe Gott braucht Werbung. Er braucht Kirchenglocken."

(RP)
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