Solingen Großes Ohrenkino beim letzten Philharmonischen Konzert

Solingen · Auf Wanderschaft ging es für die Besucher des letzten Philharmonischen Konzertes im Konzertsaal. Im Mittelpunkt stand der Liederzyklus "Songs of Travel" von Vaughan Williams. Neun Gedichte des Schatzinsel-Autors Robert Louis Stevenson hat der Komponist zu einem Zyklus zusammengefasst. Viele bezeichnen die 1907 vollendeten "Songs of Travel" als englische "Winterreise".

Mit großer Zartheit und viel Einfühlungsvermögen gestalten die Bergischen Symphoniker den lichten, ebenso farbigen wie dezenten Orchestersatz. Umsichtiger Gastdirigent ist Heiko Mathias Förster, Chefdirigent der Janacek Philharmonie in Ostrava. Lyrisch und doch kraftvoll gibt der Bariton Tobias Scharfenberger dem Vagabunden eine ausdrucksvolle Stimme und auch berührendes Leben.

Apart schwungvoll und mit rhythmischer Prägnanz hebt "The Vagabond" an. Delikat schließt das desolate letzte Lied mit einem resignierten "Und ich habe gelebt und geliebt und schließe nun die Türe." Besonders bewegend wirkt der motivische Rückgriff auf das erste Lied. Dazwischen liegt die ganze Bandbreite an Hoffen und Verzweifeln, die Scharfenberger mit meisterlicher Intensität vermittelt. Beispielhaft das trotzig melancholische "Wither must I wander": Der Frühling kommt, aber ich gehe und kehre nie mehr zurück. Ein wenig wandermäßig, auf jeden Fall liedhaft ging das Konzert mit der 1. Symphonie D-Dur von Gustav Mahler zu Ende, Mahler greift hier auf zahlreiche Lieder zurück. Ganz versunken lassen Förster und die Symphoniker den ersten Satz anheben: dem Zuhörer wehen zarte Klangfarben entgegen. Kuckuck-Rufe der Holzbläser, Fanfaren aus der Ferne durchziehen diese seltsame Notturno-Atmosphäre: Die Natur regt sich und erwacht: "Frühling und kein Ende." Tatsächlich scheint sich im Orchester gewaltig der Frühling Bahn zu brechen. Schwungvoll intonieren die Musiker das Hauptthema, das den "Lieder eines fahrenden Gesellen" entnommen ist. Hell und übermütig kann geschwelgt werden. Derb und ländlich wird der zweite Satz angegangen. Aber gänzlich unbeschwert will er doch nicht daherkommen. Mit Fingerspitzengefühl legen die Musiker auch die Doppelbödigkeit der Musik offen. Das scheinbar Unbeschwerte ist oft nur eine Maske, hinter der die Schwere des Daseins lauert. Ähnliches gilt für den kuriosen dritten Satz, dem die Symphoniker ebenso delikate wie hintersinnige Züge geben. Pauken und gedämpfte Kontrabässe stimmen einen seltsamen Trauermarsch an, dessen Thema der bekannte Kanon "Frere Jacques" ist. Den anschließenden Abschnitt zelebrieren die Musiker fast wie einen Ausflug in die Welt der böhmischen Dorfkapellen, bevor sie fast entschwebend den Mittelteil anstimmen. Mahler greift als Erklärung auf ein Märchen zurück: Die Tiere des Waldes tragen den alten Förster zu Grabe. Aber ganz so märchenhaft ist es nicht - besonders wenn Dirigent und Orchester mit dissonanter Schrille den Beginn des Finales wie einen Aufschrei gestalten: großer Auftritt für die Blechbläser. Vor allem aber gelingt es, die Gefühlsspanne dieses Satzes auszukosten bis zum abschließenden Trompetengeschmetter. Der fulminante Abschluss einer an Höhepunkten doch so reichen Saison.

(RP)
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