Serie 24 Stunden - 24 Menschen Morgengrauen auf dem Hochsitz

Solingen · Das Revier von Jäger Heinrich Apfelstedt erstreckt sich über 500 Hektar zwischen Schützenstraße und Galapa. Zwei bis drei Mal die Woche sitzt der Chirurg - oft zwischen 3 und 7 Uhr - auf einem der 25 Hochsitze. Hier genießt er die Ruhe.

Die kleine Hofschaft Dorperhof liegt noch in völliger Dunkelheit, als Heinrich Apfelstedt sein Auto am Ende der schmalen Straße abstellt. Nun ist es nicht mehr weit: den Weg hinab, an den Hunden vorbei, die hinter dem Zaun bellen, hinein in den Wald und dann rechts. Hier liegt der 40 Jahre alte Hochsitz. Vorsichtig klettert Apfelstedt die Sprossen der Leiter hinauf. Der Schlüssel klimpert, als er die schmale Tür aufschließt und dann leise die Fenster aufklappt. Mit dem Licht seines Handys leuchtet er einmal in alle Ecken, um auszuschließen, dass sich Wespen oder Hornissen angesiedelt haben, und stellt sein Gewehr sicher ab. Dann setzt er sich auf die hölzerne Bank - und wartet.

Es ist noch keine 5 Uhr, und Heinrich Apfelstedt ist in seinem Revier angekommen. Vor ihm, vor der schmalen Luke, aus der er hinaus blickt, liegen 5000 Quadratmeter Waldwiese. Um ihn herum tiefer Wald. Die Nacht hat sich noch nicht verabschiedet, sie taucht das Gras in einheitliches Grau, die Bäume in undurchdringliches Schwarz. Heinrich Apfelstedt nimmt sein Fernglas zur Hand, alle Bewegungen sind langsam, ganz leise. Dort links, unter den herabhängenden Ästen der Bäume, flüstert er, hätten sie eine Kirrung eingerichtet, einen Platz, an dem sie Mais in hölzernen Kisten auslegen, um Wildschweine anzulocken. "Es war auf jeden Fall jemand da", flüstert der 51-Jährige. Die Deckel, sonst aufgesetzt, liegen nun daneben. Heinrich Apfelstedt legt das Fernglas auf die Bank, lehnt sich zurück und beobachtet. Irgendwo im Wald krächzt ein früher Vogel. Ansonsten ist nichts zu hören.

Die Ruhe, sagt Apfelstedt, von Beruf Chirurg, sei das, was er auf dem Hochsitz ganz besonders genieße. "Wir leben in einer immer schnelllebigeren Welt, in der der Druck immer größer wird. Für mich ist die Jagd deshalb auch ganz viel Ausgleich." Vor fünf Jahren ist der Ohligser eher zufällig dazu gekommen, über den Jagdhund Nesta, den sich die Familie angeschafft hat. "Ich habe das Gefühl, dass ich genau meine Passion gefunden habe", flüstert Apfelstedt, inzwischen auch Vorsitzender der Kreisjägerschaft. Fast jeden Tag ist er in Revier 3, das er mit zwei weiteren Jägern gepachtet hat, 500 Hektar zwischen Schützenstraße und Galapa, 300 Hektar davon bejagbare Fläche, 25 Hochsitze. "Zwei bis drei Mal die Woche bin ich auf dem Hochsitz, oft von vier bis sieben Uhr morgens, manchmal aber auch nachts, im Sommer wie im Winter." Oft kommt er auch in seiner Mittagspause, um nach dem Rechten zu sehen, die Kirrungen zu kontrollieren, die Weizenfelder auf Schäden durch Wild zu untersuchen.

Die Aufgaben des Jägers sind vielfältig: Er muss dafür sorgen, dass im Revier ein ausgewogener Wildbestand erhalten bleibt, dass Wildschäden verhindert werden, die schnell in die tausende Euro gehen, ist für Seuchenbekämpfung, die Beseitigung überfahrener Tiere am Straßenrand und die Herstellung ökologisch-wertvollen Fleischs zuständig. "All das sind Aufgaben, die zu erfüllen sind, die mit in die Gesellschaft gehören", flüstert Heinrich Apfelstedt, während vor der kleinen Luke das Grau der Nacht langsam dem Grün der Wiese weicht. Gelbe Blumen und violette Disteln lassen sich nun im hohen Gras ausmachen, eine Spinne hängt an ihrem Faden gleich vor der Luke. Das Konzert der Vögel wird lauter. Die Beschäftigung mit der Umwelt ist für Heinrich Apfelstedt ein ganz wichtiger Aspekt des Jagens: "Es ist schön, sich mit der Umwelt so intensiv auseinanderzusetzen. Jäger betrachten sich als Umweltschützer. Ich persönlich empfinde das Gefühl, ein Teil des Geflechts jener Menschen zu sein, die in unserer Kulturlandschaft leben, sie bewirtschaften und nutzen, als sehr befriedigend."

Und doch: Tiere zu erschießen, sie "aus dem Leben zu nehmen", wie Heinrich Apfelstedt sagt, gehört dazu. Er habe, sagt der Arzt mit Blick auf die schwere Repetierbüchse, die neben im lehnt, großen Respekt vor Waffen. Und es gebe durchaus immer wieder Tage, an denen er nicht schießen wolle und nur beobachte. "Doch es ist letzen Endes eine Aufgabe für das Gemeinwohl, die dazu gehört." Immer wieder hat Apfelstedt dennoch mit Vorurteilen zu tun. Das häufigste: Jägern ballern alles wahllos tot. "Ich suche oft das Gespräch mit Passanten oder Spaziergängern und erkläre, was ich mache. Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht."

An diesem Morgen ist alles ruhig geblieben. Kein Reh, Dachs oder Fuchs hat sich blicken lassen. "Auch das gehört zur Jagd", sagt Heinrich Apfelstedt. Einzig ein Eichelhäher pickt die restlichen Maiskörner auf. Als die Sonne die Wipfel der Bäume berührt, klettert Apfelstedt die Leiter der Kanzel hinunter und wirft auf der Wiese noch einmal einen Blick auf die Kirrung. "Das war wohl eher ein Dachs", sagt er. "Denn die Schweine hätten die Kisten durch die Gegend geschleudert."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort