Interview: Hofschaftsleben Straßen Nachbarn treffen sich am alten Schleifstein

Solingen · Bergische Tradition und Geschichte wird in vielen Hofschaften der Klingenstadt wieder lebendig - so auch in der Hofschaft Straßen in Aufderhöhe.

Ein paar Meter abseits der Löhdorfer Straße scheint die Zeit fast ein bisschen stehengeblieben zu sein - obwohl inzwischen Autos vor den Fachwerkhäusern parken. Unter den Schlagläden bieten Bänke die Gelegenheit zum Verweilen, ein uralter Hydrant ziert ein Blumenbeet, und ein ausrangierter Schleifstein dient als Gartentisch. "Hier sitze ich am liebsten", erklärt Klaus Steeg. Unter den 21 Bewohnern der Hofschaft Straßen gehört der 70-Jährige zu den wenigen, die bereits ihre Kindheit in der idyllischen Umgebung verbracht haben. "Viele Häuser haben mittlerweile neue Eigentümer, die viel in ihre Renovierung investiert haben", sagt Steeg.

Die unter Ensembleschutz stehenden Bauwerke wirken wie ein Guckloch in die Historie des Bergischen Landes: "Beim Anstreichen habe ich in einem aufgerissenen Balken Kupfermünzen gefunden", erzählt Steeg. Als er seine überraschende Entdeckung seinem Nachbarn, einem Numismatiker vorlegte, stellte sich heraus, dass es sich um alten französischen Wehrsold handelte - ein Relikt aus napoleonischer Zeit. Die Geschichte der Hofschaft reicht allerdings noch einige Hundert Jahre weiter zurück: Schon 1488 erwähnte das Altenberger Zehntenverzeichnis die "Ortschaft Zur Straßen." Im Jahr 1805 wurde sie aufgeteilt in einen Solinger und einen Walder Teil. "Früher war die Hofschaft ja noch viel größer als heute und umfasste auch den Bereich auf der anderen Seite der Löhdorfer Straße", erklärt Klaus Steeg, in dessen Haus einst Schwerter gehärtet wurden. Sieben Schleifkotten gab es auf einer Länge von rund 80 Metern. Heute leben die Bewohner der Hofschaft deutlich weniger beengt als in der Vergangenheit. "Wir haben aus drei Zimmern eins gemacht", erzählt Bewohnerin Rosi Müller, deren Schwiegervater auch ein Urgestein der Hofschaft war.

Noch immer steht inmitten des Gebäudeensembles ein alter Schafstall. Ein Hühnerstall wurde mittlerweile zum Appartement umfunktioniert. Und dann gibt es da bis heute die kleinen Häuschen, die bis vor wenigen Jahrzehnten der allgemeinen Erleichterung dienten. "Erst 1979 haben wir hier einen Kanal bekommen, bis dahin waren wir von der westlichen Zivilisation abgeschnitten", berichtet Klaus Steeg. Aus den ehemaligen Toiletten sind nun Eingangshallen und Schuppen geworden.

Eins ist in allen Jahren immer gleich geblieben: Die Gemütlichkeit und nachbarschaftliche Hilfe innerhalb der Hofgemeinschaft. Jahrelang richteten die Bewohner gemeinsame Feste aus. "Das ist uns heute ein bisschen zu stressig", gesteht Klaus Steeg, sagt aber: "Wenn einer vorbeikommt, und ich bin draußen, biete ich ihm immer gerne ein Bier an".

(RP)
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