Ansichtssache Neue Chancen nach der Rückkehr zur Realität

Meinung | Solingen · Nach dem Investoren-Wechsel wird in der Politik nachgetreten. Aber das sollte nicht den Blick für das Entscheidende verstellen.

Die gute Nachricht vom neuen Investor für das Olbo-Areal in Ohligs war Ende dieser Woche noch keine 24 Stunden alt, da begann das, was angesichts der Virulenz, mit der das Thema rund ein Jahrzehnt die Solinger Politik gequält hatte, wohl kaum verwundern konnte. Die Scherben eines — fast könnte man sagen: idealtypischen Lehrstücks über die Macht beziehungsweise Ohnmacht von Städten gegenüber privaten Interessen wurden zusammengekehrt. Und die Aufräumarbeiten gerieten zu einem regelrechten Scherbengericht.

Wer trägt die Verantwortung für die Hängepartie mit dem einstigen Eigentümer, der Immobiliengesellschaft Graf von Thun und Hohenstein Veit? Für Jan Salewski, Ratsherr der Bürgergemeinschaft für Solingen (BfS), war diese Frage schnell beantwortet. In gewohnt schneidiger Manier warf der BfS-Mann der Rathausspitze vor, sie habe in der ganzen leidigen Angelegenheit nur zögerliche "Pseudoaktivitäten" entwickelt, "leere Versprechungen" wiederholt sowie — der Gipfel - "Hofknickse vor der Gräfin quasi öffentlich zelebriert".

Nun muss man Salewski zugute halten, dass er sich mit seinen jederzeit pointierten Wortmeldungen für gewöhnlich wohltuend vom ansonsten auch in Solingen vorherrschenden politischen Einheitsbrei abhebt. Und gewiss ist es nicht so, dass das Rathaus in all den Jahren alles richtig gemacht hätte. Aber Hofknickse? Immerhin war es die Stadtspitze um Oberbürgermeister Tim Kurzbach sowie Stadtdirektor Hartmut Hoferichter, die 2016 die Notbremse zog, indem sie die planerrischen Rahmenbedingungen neu definierte und die Verkaufsfläche in dem vorgesehenen Einkaufscenter O-Quartier drastisch reduzierte.

Dem Verwaltungschef mit SPD-Parteibuch beziehungsweise dem parteilosen Stadtdirektor werden also die Vorwürfe Salewskis gewiss nicht das Wochenende verderben. Zumal die Gräfin samt Entourage aus Entwicklern sowie Planern seit neustem eben nur noch eine Fußnote in der Solinger Stadtgeschichte ist .

Indes bleibt gleichzeitig schon die Frage, was sich die Stadt Solingen bis 2016 eigentlich erwartet hat? Gräfin von Thun und Hohenstein Veit stellte seinerzeit für 9000 Quadratmeter Fläche nämlich durchaus solvente Mieter wie etwa Aldi in Aussicht. Das war vielleicht nicht jener hochwertige Handel, den sich manche herbeigeträumt hatten. Aber es war das Machbare in Ohligs — nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Eine Erkenntnis, die der neue Investor den Stadtoberen im Übrigen am Donnerstag auch noch einmal ins Stammbuch geschrieben hat. "Wir sind in Solingen", sagte der Geschäftsführer von Kondor Wessels bei der Pressekonferenz im Rathaus sowie mit Blick auf die jetzt geplante Wohnbebauung. Im Klartext: Luxus-Lofts wird es in Zukunft genauso wenig geben wie Geschäfte, die für gewöhnlich die Düsseldorfer Kö, nicht aber den Ohligser Markt als Adresse haben.

Wohnen und viel weniger Handel: In gewisser Weise bedeutet das neue Konzept eine Rückkehr zur Realität. Die so aussieht, dass der Boom-Stadtteil Ohligs neue Perspektiven hat — und dass die Stadt weiß, dass man arroganten Investoren nicht immer schutzlos ausgeliefert sein muss.

Die kochen nämlich auch nur mit Wasser, wie das Beispiel der Gräfin mit Nachdruck belegt. Diese hatte zuletzt damit gedroht, das Grundstück zur Not weitere zehn Jahre liegen zu lassen. Doch das kann man sich heutzutage nicht einmal mehr im Adel leisten, wie jetzt klar wurde. Und das ist am Ende ja irgendwie auch eine ganz beruhigende Nachricht.

(or)
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