Solingen Solingens Helfer fühlen sich alleingelassen

Solingen · Ehrenamtler und Ausbildungsbetriebe sehen sich bürokratischen Problemen gegenüber.

Erst kam die Motivation, dann die Ernüchterung. Die deutsche Willkommenskultur begrüßte auch in der Klingenstadt viele Flüchtlinge. Doch Solingens ehrenamtliche Helfer fühlen sich in ihrem Engagement allzu oft alleingelassen. War es unlängst das Flüchtlingscamp des Deutschen Roten Kreuzes, das zuerst mit Aufwand gebaut wurde, um danach zu wenig genutzt und wieder geschlossen zu werden, sind es jetzt oft bürokratische Probleme, denen sich Ehrenamtler und Ausbildungsbetriebe gegenübersehen.

Nehmen wir Abdul, den jungen Flüchtling und Auszubildenden von Gastwirt Peter von der Heiden im Gräfrather Kaffeehaus. Chefin Dorothea Barnewitz schwärmt von ihm als engagiertem, wissbegierigem 21-Jährigen. Ehemann Peter von der Heiden freut sich, dass er endlich die Ausbildungsstelle für einen Koch besetzt bekommen hat. Denn Koch werden, das wolle heute kaum noch jemand.

Bei den Gräfrathern wäre fast Resignation eingezogen. Doch gerade kam der Bescheid des zuständigen Düsseldorfer Arbeitsamtes, das eine Berufsausbildungsbeihilfe wie bei deutschen Azubis in Aussicht stellt. Lang habe das gedauert, erinnert sich Dorothea Barnewitz. Dreimal habe man aus der Landeshauptstadt die gleichen Fragen gestellt.

Die Anhörung ihres Schützlings, der in Afghanistan schwer verletzt ein Bombenattentat überlebte, war im Januar. Ungewöhnlich lang auch das, findet Anwältin Karen Aldejohann-Baldus. Sie betreute bislang über 110 Mandaten mit ähnlicher Flüchtlingsvita, fast 70 davon kommen aus Afghanistan. Und sie weiß, dass es wichtig ist, eine Ausbildungsstelle für die Flüchtlinge zu haben. Das könne sich irgendwann positiv auf deren Status auswirken.

Auch bei Abdul, der in einer kleinen Höhscheider Wohnung lebt und mit nur leichtem Akzent die deutsche Sprache spricht, sieht die Zukunft vermutlich so aus wie bei vielen anderen jungen Afghanen. Entweder sie sind nur geduldet oder haben gegen ihre beschlossene Abschiebung Klage eingereicht. Klagen, die durchaus Erfolg haben. Nach Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) klagten bislang 51.000 Asylbewerber, 14.000 bekamen Recht.

Reinhard Burski, engagierter Kämpfer rund um die Flüchtlingsarbeit, weiß aus Erfahrung, dass es gar nicht so einfach ist, Hilfe zu finden. "Aber", so der Gräfrather Rentner, "es gibt viele Stellen, von denen man Lösungen erwarten kann. Sie zu finden, ist allerdings sehr kompliziert." Burski, der mit Ehrenamtlern von "Gräfrath hilft" nicht nur Flüchtlinge, sondern auch deutsche Sozialhilfeempfänger unterstützt, weiß, wie schnell Antragssteller die Lust verlieren, wenn sie beim Amt mehrmals abgeblitzt sind. "Und die Flüchtlinge verstehen ja nicht einmal die Sprache richtig."

Derzeit bemüht sich Burski um einen Ausbildungsplatz für Habibullah, den Schützling von Helga Theis. Seit dem Frühjahr betreut die 70-Jährige den 18-jährigen Afghanen. "Habib", wie ihn die Ohligserin kurz nennt, gelang die Flucht aus dem Bürgerkriegsland als einzigem seiner Familie. "Für die Eltern und seine vier Geschwister haben wir beim DRK einen Suchauftrag gestellt", sagt Helga Theis. Bislang weiß keiner, ob sie noch leben. Habibullah flüchtete als 15-Jähriger über das Mittelmeer.

In einer Wohngruppe für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge wuchs Habibullah auf. "So einen wissbegierigen Jungen darf man nicht ziehen lassen", sagt die erfahrene ehemalige Unternehmerin Helga Theis und schwärmt bei ihrem Schützling wie viele andere Betreuer vom Wissensdurst und schulischem Engagement junger Flüchtlinge. Habibullah hat den B1-Sprachlehrgang hinter sich und beherrscht die deutsche Sprache.

Aber "Habib" soll in sein Heimatland abgeschoben werden. Dort droht ihm eine Hinrichtung aus IS- oder Talibankreisen. Hätte Anwältin Silke Gerhard nicht Klage eingereicht, Habibullahs Abschiebung wäre schon beschlossene Sache. Silke Gerhard und ihr Mann Frank betreuen wie viele andere Juristen Solinger Flüchtlinge. Manche müssen ausreisen, weil sie nicht glaubhaft ihre Not darlegen können, bei anderen Schützlingen hofft das Anwaltsehepaar auf ein faires Verfahren. Berührend ist der aktuelle Fall eines jungen Afghanen. Der war im Alter von 16 Jahren aus Afghanistan geflohen. Silke Gerhard: "Dort wurde er von der Kommandantur einer örtlichen Polizeibehörde rekrutiert, aber aufgrund seines Erscheinungsbildes nicht zum Waffendienst herangezogen, sondern als Sexsklave vom Distriktmanager missbraucht." Eine perverse Praxis, die hierzulande wenig bekannt, in Afghanistan aber verbreitet ist. Der junge Afghane strandete auf seiner abenteuerlichen Flucht in Norwegen. Dort, so die Anwältin, habe er aus Scham nicht die Details seiner Fluchtgründe erzählt. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Silke Gerhard: "Aus Angst vor Ausweisung ist er über Dänemark nach Deutschland geflohen, immer noch minderjährig.

Im Juni 2017 wurde er in der Düsseldorfer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge angehört. Hier offenbarte er endlich die abscheulichen Details seiner Fluchtgründe, nannte sogar Namen seiner Peiniger. In Düsseldorf entschied man strikt in fünf Monaten. Silke Gerhard: "Ende Oktober erging Bescheid, dass sein Antrag wegen des Dublin-Abkommens unzulässig sei." Die Gerhards haben Einspruch eingelegt. Dem jungen Mann droht bei einer Abschiebung unweigerlich erneute Gewalt bis hin zum Tod.

(RP)
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