Interview zur Spielsucht Solinger verspielen 16 Millionen Euro an Automaten

Solingen · Mehr als 16 Millionen Euro verspielten die Solinger im Jahr 2014 an Automaten. Damit hat sich der Betrag von 2012 mehr als verdoppelt, wie Gabriele Kirchner, Leiterin der Caritas-Suchtberatung, berichtet.

 Die Suchtkarriere beginnt meistens mit einen Gewinn am Geldspielautomanten.

Die Suchtkarriere beginnt meistens mit einen Gewinn am Geldspielautomanten.

Foto: dpa (Archiv)

Wann ist jemand spielsüchtig?

Gabriele Kirchner: Es gibt nach dem internationalen Katalog für psychische Erkrankungen (DSM 5) neun Kriterien: Dazu gehören unter anderem die starke gedankliche Eingenommenheit vom Glücksspiel, die stetige Steigerung der Einsätze, erfolglose Versuche, weniger zu spielen, wachsende Gereiztheit, der Versuch, Probleme mit Glücksspiel zu bewältigen sowie die Gefährdung von Beziehungen. Sind insgesamt fünf Kriterien erfüllt, spricht man von pathologischem Glücksspielen.

Welche Folgen hat die Sucht für das Leben der Betroffenen?

Kirchner: Es heißt, auf jeden Süchtigen kommen drei Betroffene. Schließlich leidet auch die Familie darunter, wenn wegen des verspielten Geldes zum Beispiel die Stromrechnung nicht mehr bezahlt wird. Manche Spielsüchtige werden sogar straffällig, zum Beispiel in dem sie bei ihrem Chef in die Kasse greifen. Wir haben auch schon erlebt, dass Abhängige die Winterräder ihres Vaters oder Schmuck der Mutter verkauft haben, um wieder an Geld zu kommen. Der Leidensdruck ist bei den Betroffenen so hoch, dass vielfach eine erhöhte Selbstmordgefahr besteht.

 Gabriele Kirchner beschäftigt sich mit Spielsucht.

Gabriele Kirchner beschäftigt sich mit Spielsucht.

Foto: mak (Archiv)

Wie rutschen die Spieler in die Abhängigkeit ab?

Kirchner: Nahezu 100 Prozent der Süchtigen haben beim ersten Mal am Spielautomaten gewonnen. Das ist im Grunde das Schlimmste, was ihnen passieren kann. Junge Menschen gehen anfangs in Gruppen in die Spielhallen. Dort wird man umsorgt, zum Beispiel mit kostenlosem Kaffee, so dass die Gäste die Einrichtung nach und nach als einen Rückzugsort wahrnehmen und sich isolieren. Eine Rückkehr zum kontrollierten Spielen ist bei einem Abhängigen später nicht mehr möglich. Inzwischen sind auch Frauen eine wachsende Zielgruppe: Die Automaten sind oft auch in familienfreundlichen Freizeitzentren, zum Beispiel mit Bowlingbahn, zu finden.

Wie lässt sich der Schaden durch die Spielsucht in Solingen beziffern?

Kirchner: Die von den Kunden verspielte Geldsumme hat sich von 7,7 Millionen Euro im Jahr 2012 auf über 16 Millionen im Jahr 2014 in Solingen erhöht. So einen starken Anstieg gab es noch nie. Generell sind etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung, das wären auf Solingen bezogen 776 Menschen, vom pathologischen Glücksspiel betroffen, die gleiche Zahl vom problematischen Glücksspiel. Die Umsätze der Betreiber von Spielgeräten hängen besonders an den Süchtigen. Bemerkenswert ist: Eigentlich darf jede Spielhalle nach dem Glücksspielvertrag nur eine Konzession besitzen. In Solingen gibt es mehr als doppelt so viele Konzessionen wie Spielhallen.

Welche Formen der Spielsucht gibt es?

Kirchner: Zumeist besteht eine Abhängigkeit von Automaten. Inzwischen schießen aber auch die Wettbüros wie die Pilze aus dem Boden. Und auch von Spielen im Internet haben sich Abhängigkeiten entwickelt. Eine pathologische Spielsucht mit vielen negativen Folgen entwickelt sich vor allem bei den Spielen, in denen immer mehr Geld eingesetzt wird und der Ausgang auf dem Zufall basiert.

Welche Maßnahmen bietet die Caritas für die Abhängigen an?

Kirchner: Wir haben eine Gruppe für pathologische Glücksspieler. Dort können die Betroffenen vieles, was sie belastet, besprechen und von von den Teilnehmern partizipieren, um eigene Lösungswege zu entwickeln. Weiter gibt es auch eine Angehörigengruppe und die Drachenflieger für 6 bis 10-Jährige Kinder von Suchtkranken. Daneben führen wir Einzel- und Familiengespräche. Im vergangenen Jahr haben 45 vom Glücksspiel Abhängige und neun Angehörige von Spielern unsere Hilfe in Anspruch genommen.

Wie beurteilen Sie die Wahrnehmung von Spielsucht in der Bevölkerung?

Kirchner: Da spielt das Problem noch eine untergeordnete Rolle - auch in den Suchtpräventionskonzepten an Schulen. Wie als Spielerfachstelle versuchen, für das Thema auch in öffentlichen Veranstaltungen zu sensibilisieren.

ALEXANDER RIEDEL FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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