Bergischer HC Abstiegskampf sieht anders aus

Solingen · Nur eine Viertelstunde kämpft der Bergische HC um den Klassenerhalt. Mit einer 26:35 (10:15)-Niederlage lässt sich das Schlusslicht der Handball-Bundesliga vom TVB Stuttgart in der ausverkauften Klingenhalle deklassieren.

 Für BHC-Keeper Björgvin Gustavsson war der Arbeitstag gegen den TVB Stuttgart bereits nach 17:22 Minuten beendet.

Für BHC-Keeper Björgvin Gustavsson war der Arbeitstag gegen den TVB Stuttgart bereits nach 17:22 Minuten beendet.

Foto: Imago

"Absteiger, Absteiger" skandieren Fans des Bergischen HC, als die Spieler in Richtung Kabine abziehen. Die 2438 Zuschauer in der ausverkauften Solinger Klingenhalle hatten sich am Samstagabend auf einen Abstiegskrimi zwischen dem Tabellenletzten und dem nur zwei Plätze besser platzierten TVB Stuttgart gefreut - mit einem bissigen BHC in der Hauptrolle. Zu sehen bekamen sie eine Mannschaft, die sich ab der 45. Spielminute aufgab. Von einem Kampf bis in die letzte Minute, wie Trainer Sebastian Hinze ihn zuletzt angekündigt hatte, war bei der 26:35 (10:15)-Niederlage nichts zu sehen.

Der BHC startete nervös und ängstlich in die Partie. Symbolisch dafür war die erste Angriffsszene: Der BHC wird ins Zeitspiel gezwungen, Alexander Hermann schließt aus dem Rückraum ab - Johannes Bitter pariert den Ball locker. Wollte der BHC den gegnerischen Torwart erst einmal warmwerfen ? Auf der anderen Seite brauchte der TVB mit Spielmacher Michael Kraus nur drei Pässe, um die Lücke zum Tor zu finden. Von der kompakten Abwehr, an der der BHC in den letzten Wochen so hart gearbeitet haben will, war in der Anfangsphase wenig erkennbar.

"Ich habe das nicht kommen sehen. Wir haben im Training zu hundert Prozent anders gearbeitet", analysiert Hinze, "das waren die schlechtesten 15 Minuten, die ich in dieser Saison von unserer Mannschaft gesehen habe". Bei 15 schlechten Minuten blieb es nicht: In der ersten Halbzeit rannte der BHC sich im Angriff immer wieder fest, es folgten unpräzise Anspiele an den Kreis und halbherzige Würfe aus dem Rückraum. Aggressivität, Konzentration und Geschlossenheit - das, was man beim BHC so gänzlich vermisste -, funktionierte bei den Stuttgartern ausgezeichnet. Hinzu kam die starke Quote von Bitter. Bis zur Pause hielt er 54 Prozent der Bälle.

BHC-Keeper Björgvin Gustavsson konnte bis zur 18. Minute immerhin mit zwei Paraden glänzen, dann musste der Isländer das Spielfeld mit einer Roten Karte verlassen. "Wir haben die klare Ansage bekommen, dass wir Rot kriegen, wenn wir rauskommen und einen Spieler beim Gegenstoß berühren", sagte Johannis Bitter nach dem Spiel, "Björki crasht ihn da voll, da kann es nur Rot geben. Das ist die Regel". Auch Christopher Rudeck konnte anschließend im Tor nicht sonderlich viel reißen: Zusammen mit Gustavsson kam er auf eine Halbzeitquote von elf Prozent.

So überraschend schlecht die erste Halbzeit war, so überraschend gut fing der BHC nach der Pause an: Die Mannschaft mit Verletzungsrückkehrer und Geburtstagskind Kristian Nippes in der Abwehrspitze strotze nur so vor Elan und Biss - man fragte sich kurzzeitig, ob Nippes während der Halbzeitpause in der Kabine einen Geburtstagskuchen mit magischer Zutat verteilt hatte. "Wir haben mit Emotionen und Tempo nach vorne gespielt", sagte Trainer Hinze. "Der BHC hat uns zu Beginn der zweiten Halbzeit überrascht", gab TVB-Sportdirektor Jürgen Schweikardt zu. Trainer Markus Bauer ergänzte:"Da sind wir ins Schwimmen gekommen, da war es kurz am Kippen". Mit der Sieben-gegen-Sechs-Geschichte habe man dann die Kurve gekriegt.

Während der TVB mit dem siebten Feldspieler wieder die Kontrolle übernahm und sich mit Geduld die Lücken erspielte, schwankte die Euphorie des BHC in Hektik und Unachtsamkeit um. Die Folge: Abwehrfehler hinten, Fehlpässe und Stürmerfouls vorne. In der letzten Viertelstunde warf der BHC acht Tore; die Stuttgarter treffen 14-mal. "Ich habe mich gefreut wieder zu spielen, aber jetzt ist es Mist", sagte Nippes, "35 Tore zu Hause gegen Stuttgart, das darf nie im Leben passieren".

Auch Trainer Hinze macht die Leistung seiner Mannschaft nachdenklich: "Dass wir dann so aus der Partie rausgehen, wie wir in den ersten 15 Minuten angefangen haben. Mit nur einer guten Viertelstunde kann man keinen Abstiegskampf gewinnen - und auch nicht in der ersten Liga bestehen." BHC-Beirat Jörg Föste ergänzte: "Das war über weite Strecken ernüchternd. Wir hätten über viel weitere Strecken den Kampf annehmen müssen, ich habe nur zehn gute Minuten gesehen."

Abstiegskampf fordert Geschlossenheit und Zusammenhalt in den eigenen Reihen. Viktor Szilagy, sonst Ruhepol und Motivationsspritze, wirkte stellenweise gereizt gegenüber seinen Mannschaftskollegen. Ebenfalls überraschend: Trainer Hinze verzichtete auf Regisseur Alexander Oelze, der in Jeans neben der Bank saß. Der Mittelmann hatte gegenüber dem Club Wechselabsichten geäußert. Hinze wollte seine Entscheidung nicht kommentieren. "15 Spieler standen mir zur Verfügung, 14 habe ich aufgestellt." Für Oelze rückte Nachwuchstalent Max Bettin in den Kader, der jedoch nicht zum Einsatz kam.

"Absteiger, Absteiger" riefen die Fans in Richtung der eigenen Mannschaft. "Thorsten, gibst du ein bisschen Gummi heute wegen der Sport-Gala", sagte Beirat Jörg Förste zu Pressesprecher Thorsten Hesse vor der Pressekonferenz. Sowohl die Fans als auch der Verein scheinen die Koffer für die zweite Liga bereits schon gepackt zu haben. Dabei hatte Trainer Hinze noch vor dem Spiel gesagt: "Das Spiel ist nur eins von 16". Doch wenn der BHC gegen Stuttgart vor Heimkulisse 35 Treffer kassiert, stellt sich die Frage, wo die Punkte für den Klassenerhalt zu holen sein sollen.

Arnor Gunnarsson und der BHC gaben vor Spielbeginn bekannt, dass der isländische Nationalspieler seinen Vertrag bei bis einschließlich der Saison 2020/21 verlängert hat.

(laha)
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