Lokalsport Lemgo trifft den BHC mitten ins Herz

Solingen · In der Schlusssekunde geht der TBV im Kellerduell der Handball-Bundesliga erstmals in Führung: zum 29:28-Endstand.

Es laufen die letzten 30 Sekunden im Abstiegskrimi der Handball-Bundesliga. Zwischen dem Schlusslicht Bergischer HC und dem Drittletzten TBV Lemgo steht es 28:28, die Hausherren in der Wuppertaler Unihalle sind im Angriff. Da passiert es: Viktor Szilágyi unterläuft ein Stürmerfoul. Ausgerechnet dem erfahrensten Akteur, der Minuten zuvor gezeigt hat, warum er auch mit 38 Jahren und als reaktivierter Sportlicher Leiter immer noch ein absoluter Ausnahmespieler ist. Der Verantwortung übernommen hat, die wichtigen Führungstore zum 25:24, 26:25 und 28:27 erzielt hat. Im letzten Angriff das Missgeschick.

So kommt Lemgo in Ballbesitz. Der BHC verteidigt leidenschaftlich, die Schiedsrichter zeigen nach einer Auszeit von Gäste-Trainer Florian Kehrmann direkt Zeitspiel an. Dann packt Moritz Preuss beherzt zu - zu beherzt, finden die Unparteiischen, die am Ende ein nicht ganz ausgewogenes Strafzeiten-Verhältnis zu verzeichnen haben (sieben gegen den BHC, zwei gegen Lemgo). Preuss muss mit seiner dritten Strafe vom Feld, das Zeitspiel ist aufgehoben, die Hausherren sind fünf Sekunden vor dem Ende in Unterzahl. Und dann der Super-GAU: Christoph Theuerkauf, zuvor schon der Mann der wichtigen Tore für den TBV (16:18, 18:19, 26:26), wird am Kreis freigespielt und netzt ein. Ein Stich mitten ins Herz des BHC. Abpfiff, Lemgo jagt den Matchwinner freudig durch die Halle, die Hausherren sinken zu Boden. Schock, Fassungslosigkeit, Frust. Es ist die erste Führung des TBV im gesamten Spiel, das aus Sicht der Hausherren 28:29 (13:8) endet. Wie bitter ist das denn?

Dabei hat der Tabellenletzte der Bundesliga den besten Start der Saison hingelegt, zeitweise die beste erste Hälfte. Mit Emotion und kühlem Kopf eine 8:3- (11. Minute) und 13:8-Führung (Halbzeit) herausgeworfen. Der BHC ist so heiß, dass alles klappt. Vorne agiert er fast immer extrem sicher, hinten steht ein Bollwerk, in dem jeder für den anderen kämpft, und hinter dem Björgvin Gustavsson im Tor zu großer Form aufläuft. Nichts deutet auf eine Niederlage hin. Und dann passiert sie doch. Das Überwintern auf einem Abstiegsplatz ist Gewissheit.

Lemgos Siegtorschütze Christoph Theuerkauf stellt sich als Erster dem Hallenmikro und verblüfft mit der Antwort auf die Frage, wie er sich als Matchwinner fühle: "Ich habe eine unglaubliche Leere in meinem Kopf, weil - Sport ist nicht gerecht", sagt der Kreisläufer ganz ehrlich. "Wir waren vor zehn Tagen gegen Balingen in der gleichen Situation wie die Jungs vom BHC heute. Ich bin da Sportler und weiß, wie sich die Jungs jetzt fühlen. Das tut mir einfach nur weh. Gerecht ist sowas nicht. Ich wünsche dem BHC viel Erfolg und alles Gute."

Es sind keine leeren Worte, die Theuerkauf da spricht, aber sie helfen dem BHC natürlich nicht. "Was mir jetzt durch den Kopf geht, ist nicht jugendfrei, deswegen kann ich das nicht sagen", meint Szilágyi. Auf der Pressekonferenz später ergänzte der Sportliche Leiter: "Das ist sehr, sehr bitter. Das war die erste und einzige Führung von Lemgo, und das Sekunden vor Schluss. Das zeigt, wie bitter der Spielverlauf für uns war. Wir müssen jetzt zwischen den Feiertagen alles sacken lassen. Das ist vielleicht der schwierigste Moment, seit ich beim BHC bin. Das tut unglaublich weh und ist fast gar nicht zu erklären."

Sein Trainer musste das trotzdem versuchen. "Die erste Halbzeit war sehr, sehr gut, vor allem defensiv", begann Sebastian Hinze. "Im Angriff hatten wir viele technische Fehler, haben die aber kompensiert mit der Abwehr. In der zweiten Halbzeit war die Angriffsleistung immer noch sehr ordentlich, wir hatten weniger technische Fehler, haben aber die Chancen von sechs Metern, außen und sieben Metern - wir haben zwei Siebenmeter verworfen - ausgelassen. Aber das ist nicht der Grund für die Niederlage, sondern dass wir es nicht geschafft haben, die Aktionen im linken Angriff von Lemgo zu verteidigen, was wir in der ersten Halbzeit noch geschafft haben." Gemeint war da Tim Suton, der vom BHC nicht zu stoppen war. Hinze schloss: "Was wir uns vorwerfen lassen müssen, ist, dass wir die Zweikampf-Bereitschaft verloren haben, und das ist sehr sehr bitter."

Ebenso wie Szilágyis Stürmerfoul, Preuss' dritte Zeitstrafe und Theuerkaufs Siegtreffer. Oder Lemgos Kabinenparty nach dem Spiel. "Wir hören, wie die Mannschaft das hier abfeiert - wie eine Deutsche Meisterschaft", sagte TBV-Geschäftsführer Christian Sprdlik. "Für den BHC tut es mit unglaublich leid, weil ich diesen Verein sehr schätze." Indes hilft das weder dem Klub, noch Hinze, um den es spätestens jetzt eine Trainerdiskussion gibt. Auch wenn Torwart Gustavsson ein flammendes Plädoyer für ihn hielt, ist klar: Der BHC ist ins Herz getroffen.

(ame)
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