Sportlerwahl

Solingen · Tanner Leighton (Baseball), Viktor Szilágyi (Handball) und Daniel Wernitz (Volleyball) stehen zur Wahl.

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Foto: Stephan Köhlen

Viktor Szilágyi ist von einer Reha-Maßnahme im Helios Klinikum direkt in ein Café in Wuppertal gekommen. Den linken Fuß darf er nach einem Riss der Plantarfaszie immer noch nicht belasten. Die Krücken liegen unter dem Tisch, ab und an muss der Kapitän des Bergischen HC den Fuß auf den Stuhl legen, um ihn zu entlasten. Eigentlich wäre er jetzt im Urlaub, doch die Verletzung hat ihm das verbaut. Seine Lebensgefährtin Nora ist mit den gemeinsamen Kindern Ben und Levi alleine geflogen, eine Nachbarin führt Hund Johnny aus, weil Szilágyi mit ihm derzeit nicht Gassi gehen kann. Eine Woche ist der 36-Jährige, der aufgrund seiner Nationalität und Bedeutung für den Sport immer wieder als "Mozart des Handballs" bezeichnet wird, allein. Er bestellt Kaffee und eine kleine Flasche Wasser, dann beginnt das Gespräch mit dem Handballprofi, der sinnbildlich für die erfolgreiche Saison des BHC steht, der vorzeitig den Klassenerhalt in der Bundesliga geschafft hat.

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Foto: Köhlen, Stephan (TEPH)

Szilágyi über . . . Heimat: "Ich habe die ersten sechs, sieben Jahre meines Lebens in Ungarn verbracht, dann 13,14 in Österreich, und jetzt bin ich schon 15 Jahre in Deutschland. Ich müsste das splitten: Deutschland, Ungarn, Österreich, wo wir viele Freunde haben. Heimat ist für mich da, wo meine Kinder sind, wo wir als Familie leben."

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Foto: imago sportfotodienst

. . . über Umzüge: "Johnny hat fast jeden Umzug mitgemacht, er ist bei mir, seit ich bei TuSem Essen gespielt habe und jetzt 13 Jahre alt. Ich habe von jedem Verein, bei dem ich gespielt habe, ein Trikot aufgehoben. Das ist nicht so, dass ich die jeden Tag anschaue oder trage, die liegen hauptsächlich im Keller, aber kommen natürlich bei jedem Umzug mit. Ich bin eigentlich kein Typ für Umzüge, auch wenn das beruflich bedingt immer mal wieder sein musste. Ich bin nicht so für Neuanfänge, ich fühle mich in Situationen, die ich kenne, wohler. Ein Umzug stresst mich wahnsinnig. Zum Glück hat Nora immer das meiste übernommen. Ich trenne mich schwer von irgendwelchen Sachen. Deswegen kommt bei Umzügen oft unnützes Zeug in irgendwelchen Kisten mit, die dann ungeöffnet einfach wieder abgestellt werden."

. . . über das Bergische Land: "Für einen Österreicher ist das Bergische Land hügelig (lacht). Ich habe natürlich gelernt, dass es nicht wegen der Berge so heißt, sondern aus der Historie so benannt wurde. Wenn man mit dem Hund oder dem Rad unterwegs ist, wird man aber daran erinnert, dass es hügelig ist. Für mich gehört allerdings einfach die Kombination Berg und See zusammen, so wie in Kärnten. Das ist für mich eines der schönsten Bundesländer. Ich bin in Niederösterreich aufgewachsen, wo es auch etwas flacher ist und man ein Stück fahren muss, bis man Skifahren kann."

. . . Über die WM in Katar: "Katar war gegen uns im Achtelfinale eigentlich fällig, aber es ist so gelaufen, wie es gelaufen ist. Der BHC gibt mir professionelle Bedingungen, die es mir ermöglichen, dass ich in so einem Alter noch eine WM spielen kann, mit so vielen Spielen in so kurzer Zeit. Die Voraussetzung dafür ist eine gewisse Fitness. Deswegen habe ich lange offengelassen, ob ich teilnehme, weil ich wusste, was auf mich zukommt."

. . . über den Profisport: "Ich würde mich nie über die Situation als Profisportler beschweren. Das ist für mich ein Riesengeschenk, in so einem hohen Alter noch Leistungssport betreiben zu können. Und wenn man das Familienleben sieht: Es gibt keinen Beruf, wo man so viel Zeit hat, auch das zu genießen. Wenn ich das vergleiche mit einem Arbeitnehmer, der eine 40-Stunden-Woche hat, der abends nur eine halbe Stunde Zeit hat, seine Kinder zu sehen, dann weiß ich schon, dass ich privilegiert bin. Wir wissen alle, dass das ein Privileg ist."

. . . über das Abschalten: "Man schaltet als Profisportler nie richtig ab. Die letzte Saison war ja noch schwieriger als diese, wir hatten wahnsinnig schwere Zeiten. Das nimmt einen schon mit, und da leidet auch das Familienleben drunter, dass man nicht so locker-lustig drauf ist. Ich hatte das Glück, auch um Meisterschaften mitspielen zu können, aber der Kampf um den Klassenerhalt ist auf der mentalen Ebene noch härter. Um abschalten zu können ist es wichtig, Urlaub in einem anderen Land zu machen, wo das System Handball nicht dabei ist. Meine Familie wohnt sehr weit weg, in Ungarn, ich nehme mir jedes Jahr eine Woche Zeit für meine Eltern, mein Bruder und meine Nichten wohnen auch da. Das ist eine wichtige Zeit, wo man am meisten abschalten kann, vor allem durch meine Mutter. Mütter bleiben immer Mütter, und sie nimmt mir viel ab. Ansonsten ist es nicht so, dass sich das mit dem Abschalten gut ergibt. Es tut gut, fast zwei Wochen Ruhe zu haben, aber danach steigen schon wieder die Freude und die Lust auf die Vorbereitung. Man muss dafür ja auch Vorarbeit leisten. Auf dem Niveau kann man nicht einfach so in die Vorbereitung einsteigen. Ich muss auch mein Knie in Schwung bringen.

. . . über seine Kniemanschette: "Das war eine Entscheidung, die ich noch mit den Medizinern in Kiel getroffen habe, mit der Schiene zu spielen. Das Knie war eigentlich gesund, das Kreuzband stabil, der Meniskus wieder ganz, aber der Muskelaufbau war noch nicht so. Deswegen haben wir entschieden, dass ich mit Schiene spiele. Sie hat mir geholfen und irgendwann hatte ich den Zeitpunkt verpasst, sie wieder abzulegen. Ich setze ein gewisses Vertrauen in die Schiene, egal, wie viel das hilft. Im Sport ist es am besten, wenn man sich so wenig Gedanken wie nötig um seinen Körper machen muss. Ich gebe Verantwortung an die Schiene ab, und kann mich dann auf andere Sachen konzentrieren. Im Training ist es auch so, dass ich alles, was ohne Körperkontakt ist, ohne Schiene mache, aber vor Kontaktübungen ziehe ich sie an. Es fühlt sich sonst an, als ob man keinen Schuh anhat."

. . . über Aberglauben: "Nach vielen Jahren entwickelt man Marotten. Ich klopfe vor Spielen Pfosten und Latte ab, ziehe immer den rechten Schuh zuerst an - und ich würde nie auf den Gedanken kommen, die Schuhbänder in der Kabine zuzubinden, sondern immer in der Halle. Das ist ein Zeichen, dass es gleich losgeht. Ich habe viele Spieler erlebt, die das in meinen Augen fast übertrieben haben (schmunzelt), aber es gehört dazu. Da fühlt man sich sicher in den Abläufen und damit wohler.

. . . über Religion: "Das, was ich vor einem Spiel mache, ist kein richtiges Bekreuzen. Ich bin schon religiös, aber kein regelmäßiger Kirchgänger. Es ist auch nicht so, dass ich ständig bete. Ich kann mich auch in dem katholischen Gedanken, wie der übertragen ist, nicht so zurechtfinden, da gibt es Vieles, was mich stört. Aber es gibt viele Sachen, woran ich glaube. Ich suche mir die Sachen raus, wo ich mich mit identifiziere. Ich bin auch nie aus der Kirche ausgetreten, meine Kinder sind getauft. Aber ich habe zum Beispiel nie geheiratet, das hat sich nie ergeben. Nora und ich sind seit Oktober 2000 zusammen, im Dezember 2000 bin ich nach Deutschland gezogen und sie ist 2002 nachgezogen. Eine Heirat würde nicht viel ändern in unserem Zusammenleben."

. . . über Busfahrten mit dem BHC: "Im Bus laufen ja auch Filme, die schon fragwürdig sind, was Qualität ud Wiederholung angeht. Da müssen wir Fabian Gutbrod und Alexander Oelze, die für die Auswahl zuständig sind, noch ein bisschen erziehen. Wenn man zum dritten Mal in einer Saison "Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug" gesehen hat, fragt man sich schon, wann das mal lustig wird. Manchmal habe ich auch Phasen, gerade, wenn man direkt am Spieltag zum Spiel fährt, da brauche ich meine Ruhe. Da nehme ich mir Zeit für Sachen, zu denen ich zu Hause nicht komme. Ich bin ein begeisterter Leser des Fußballmagazins "11Freunde" - das hebe ich mir für Fahrten mit dem BHC oder der Nationalmannschaft auf. Ansonsten bin ich aber ein kommunikativer Typ, nutze die Zeit für Gespräche mit unserem Physiotherapeuten Carsten Walonka oder mit unserem Trainer Sebastian Hinze. Als Kapitän hat man ja auch andere Aufgaben und spricht dann über Sachen, wo man sonst nicht zu kommt."

. . . über Musik: "Das einzige Lied, das ich auf dem Handy habe, ist das von Thomas Bauer, unserem Torhüter aus der Nationalmannschaft: "We go our way" - das hatte ich ihm damals versprochen. Ansonsten: Wenn ich Musik höre, ist das sehr breit gefächert, je nach Stimmung und Umgebung sind auch Schlager dabei. Klassik höre ich eher weniger, es geht mehr in die modernere Richtung. Ich bin ein Radio-Hörer im Auto. Zu Hause läuft eher die Playlist meiner Freundin, weil ich mit meinen außer bei Parties keinen begeistern kann."

. . . über den Handball: "Für mich ist das Spiel einfacher geworden, ich habe ja fast alles erlebt. Ich habe es geschafft, das Spiel meinem körperlichen Untergang anzupassen (lacht). Ich habe früher halblinks gespielt und bin dann in Kiel auf die Mitte gekommen. Das bedeutete weniger Sprungwürfe und mehr Schlagwürfe. Früher gab es noch klassische Spielgestalter auf der Mitte, dann hat sich das Spiel so entwickelt, dass von Mittelmännern verlangt wurde, torgefährlich zu sein."

. . , über seine Schlagwürfe: "Ich hatte das große Glück, dass ich sehr, sehr erfahrene Weltklassetrainer wie Noka Serdarusic hatte, die mich auch in diesem Bereich trainiert haben. Zu diesen Würfen gehört Selbstvertrauen dazu und die Überzeugung, dass man dann auch einfach erfolgreich ist. Das ist die große Herausforderung. Wenn man etwas nicht probiert, kann man auch nicht erfolgreich sein. Wenn man aber alles zu 100 Prozent macht, wird man damit gut fahren."

. . . über seine nominierung: "Generell finde ich es schwierig, bei einer Wahl zum Sportler der Saison einen einzelnen aus einem Mannschaftssport herauszustellen. Ohne die Mannschaft ist man gar nichts. Ohne den Kreisläufer, der die Sperre stellt, ohne den Rückraum oder die Außen, die Druck machen - ohne die kann man nichts bewirken. Aber es ist natürlich eine Riesenbestätigung für die Arbeit, die man tagtäglich - nicht nur bei den Spielen - bringt. Die Nominierung steht stellvertretend für die Leistung, die wir als Mannschaft - damit meine ich auch Trainer, Physios, Athletiktrainer, Geschäftsstelle und alle, die dazugehören - gebracht haben. Die Nominierung sehe ich stellvertretend für unseren Erfolg. Wenn wir unsere Ziele nicht erreicht hätten, wäre auch niemand auf die Idee gekommen, mich zu nominieren."

(ame)
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