Das Ende eines Stadions Zeitreise am Hermann-Löns-Weg

Solingen · Das Stadion in Solingen galt früher einmal als eine der schönsten Fußball-Arenen in der Region. Doch seit klar ist, dass die Anlage im Westen der Stadt neuen Wohnhäusern weichen wird, ist das Stadion sich selbst überlassen und verfällt.

Solingen: Ein Rundgang durch das alte Ohligser Stadion
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Ein Rundgang durch das alte Ohligser Stadion

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Foto: Köhlen, Stephan

Der Rasen vermittelt auf den ersten Blick immer noch einen guten Eindruck. Fast könnte man meinen, auf dem Spielfeld sei erst gestern das letzte Fußballspiel abgepfiffen worden. Das satte Grün im alten Union-Stadion am Hermann-Löns-Weg ist an diesem sonnigen Frühlingstag wie immer akkurat geschnitten. Denn obwohl auf dem Rasen niemals mehr eine Partie stattfinden wird, rückt die Stadt nach wie vor bis zu acht Mal im Jahr mit ihren Mähmaschinen in der Ohligser Heide an.

Aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Das letzte Spiel von Union Solingen in dem traditionsreichen Stadion datiert vom 30. Mai 2010. Der KFC Uerdingen gastierte damals in Ohligs. Und irgendwie erscheinen der Spielverlauf und das spätere Ergebnis - zumindest aus heutiger Sicht - wie ein schlechtes Omen für Verein sowie Arena. Ein gewisser Aílton Gonçalves da Silva, kurz Aílton, traf bereits in der 6. Minute für die Krefelder. Am Ende stand es 3:6 gegen die Union - wobei wohl keiner der rund 500 Zuschauer an jenem Sonntagnachtmittag ahnte, dass er gerade Zeuge eines echten "Endspiels" geworden war.

Arena soll Wohnhäusern weichen

Knapp sechs Jahre danach ist an Fußballspiele am Hermann-Löns-Weg nämlich beim besten Willen nicht mehr zu denken. Wahrscheinlich im kommenden Jahr wird die Traditionsarena abgerissen, um bis 2020 neuen Wohnhäusern Platz zu machen. Die Stadt als Eigentümerin hat das Stadion für rund drei Millionen Euro an einen Investor verkauft, weil die großen Zeiten des Solinger Fußballs längst Vergangenheit sind.

Vier Bezirksligisten, darunter der nach der Insolvenz 2010 neu entstandene BSC Union - wer braucht da in der Klingenstadt schon noch ein Fußballstadion mit einer Haupttribüne für mehrere tausend Zuschauer sowie vier 32 Meter hohen Flutlichtmasten, die bereits aus der Weite davon künden, dass Solingen früher einmal zu den besseren Adressen im deutschen Fußball gezählt hat.

Ein überdimensioniertes Wasserbett

Der Solinger Fußball hat schlicht und ergreifend keine Verwendung mehr für die immer noch beeindruckende Arena. Und so erscheint es den wenigen Besuchern, die sich heute noch zum Hermann-Löns-Weg verlaufen, auch nur folgerichtig, dass die Spielfläche beim Betreten längst eher an eine Morastlandschaft, denn an ein Fußballfeld erinnert.

Wer zum Beispiel über den Rasen schlendert, meint inzwischen, über ein überdimensioniertes Wasserbett zu gehen. Mit einem Fußballplatz hat das Geläuf jedenfalls nichts mehr gemein. Selbst der begnadeste Kicker würde mit seinem fußballerischen Latein ganz schnell am Ende sein.

Was wiederum damit zusammenhängt, dass die Stadt zwar (wie gesagt) immer noch den Rasen des Stadions mäht, ansonsten aber darauf verzichtet, das Grün zu walzen und somit bespielbar zu machen. Dadurch drückt jedoch das Grundwasser nach oben - und macht so auch den letzten Traum alter Union-Fans zunichte. "Ein Abschiedsspiel für das Stadion kann aufgrund der Bodenverhältnisse nicht mehr stattfinden", sagt Peter Deutzmann.

"Die Geschichte des Stadions geht unweigerlich zu Ende"

Das ehemalige Vorstandsmitglied des 1. FC Union ist aktuell Chef des OFC Solingen und gibt sich, was die Zukunft betrifft, keinerlei Illusionen hin. "Die Geschichte des Stadions geht unweigerlich zu Ende", stellt Deutzmann klar, der mit der Arena im äußersten Westen der Stadt "schöne wie auch traurige Erinnerungen verbindet".

Da geht es dem 51-jährigen gebürtigen Ohligser, der die Union in seiner Jugend zu zahllosen Auswärtsfahrten quer durch Deutschland begleitete, nicht anders als Tausenden weiterer Solinger Fußballfans. Denn schließlich war das Stadion in der Heide, das von einigen - wegen seiner Lage am Hermann-Löns-Weg - nur "HLW" genannt wird, über Jahrzehnte ein Anlaufpunkt in der Stadt. Ganze Generationen von Zuschauern pilgerten an den Wochenenden - sowie später, als die Flutlichtanlage in Betrieb war, auch unter der Woche - zu den Spielen der Union, die es zwischen 1975 und 1989 auf 14 Profijahre in der Zweiten Liga brachte und in der Ewigen Tabelle des deutschen Fußball-Unterhauses immer noch den 25. Platz belegt.

Das war die Zeit, in der durch den "Spielertunnel" neben der Haupttribüne regelmäßig Mannschaften wie Bayer Leverkusen, Schalke 04 sowie SC Freiburg aufliefen - nur um bisweilen 90 Minuten später mit einer Niederlage im sprichwörtlichen Gepäck wieder die Heimreise anzutreten. Und es war die Zeit, zu der Union Solingen mit Dirk Hupe (1974 - 1981), Werner Lenz (1975 - 1983), Helmut Pabst (1977 - 1984), Wolfgang Schäfer (1981 -1984), Volker Diergardt (1983 - 1988), Demir Hotic (1983 - 1987) und anderen gleich eine ganze Reihe prominenter Fußballprofis unter Vertrag hatte.

Ja, sogar das ruhmreiche Borussia Mönchengladbach bekam damals die Heimstärke der Union am Hermann-Löns-Weg zu spüren. Am 18. Februar 1985 schrammte die Fohlenelf mit ihrem Trainer Jupp Heynckes im Viertelfinale des DFB-Pokals bei einem hart umkämpften 2:1-Sieg vor offiziell 15.500 Fans nur haarscharf an einer Blamage vorbei. Wobei viele, die seinerzeit dabei waren, bis heute schwören, in Wirklichkeit seien an diesem eiskalten Februarabend noch viel mehr Zuschauer, nämlich rund 18.000, im Stadion gewesen.

Seitdem haben sich die Wege der Kontrahenten von einst allerdings getrennt. Zwischen der Union und ihren alten Gegnern liegen heutzutage Welten. Während Gladbach, Leverkusen und Schalke längst in hypermodernen Fußballtempeln spielen, tut sich in der Ohligser Heide schon lange nichts mehr. Die früher einmal so starke Union trat nach und nach nicht allein sportlichen den Rückzug an.

Nach dem Abstieg aus der Zweiten Bundesliga in die damals noch drittklassige Oberliga im Frühsommer 1989 wurde der Club ein Jahr später weiter nach unten durchgereicht. Es kam zur ersten Insolvenz des alten Vereins SG Union. Und obwohl in der Zeit danach sowie im Zuge einer Neugründung als 1. FC Union zunächst eine Stabilisierung mit etlichen Spielzeiten in der Verbands- oder Oberliga erreicht werden konnte, nahm die Geschichte des bekanntesten Solinger Fußball-Aushängeschildes doch kein gutes Ende. 2010 war schließlich endgültig Schluss. Die Union ging zum wiederholten Male pleite - und diesmal gab es nichts und niemanden mehr, der in der Lage oder willens gewesen wäre, den Club aus dem Ohligser Unterland sowie sein Stadion zu retten.

Dabei hatte die Arena zu diesem Zeitpunkt ihre besten Jahre bereits hinter sich. 1929 erbaut, diente das zunächst relativ einfach gehaltene Stadion im Lauf der Jahrzehnte dem seinerzeitigen Verein Union Ohligs - mit Ausnahme zweier Saisons in der II. Division West zu Anfang der 50er Jahre - zumeist als Kulisse für Amateurspiele.

Dies wurde erst anders, als sich die Union zu Beginn der 70er-Jahre anschickte, die größere Fußballbühne zu betreten. Einer ersten Saison in der ebenfalls zweitklassigen Regionalliga West folgte 1974 zwar noch einmal der Gang zurück ins Amateurlager. Doch schon ein Jahr später war es soweit. Der zwischenzeitlich mit dem VfL Solingen-Wald zur SG Union Solingen fusionierte Club stieg wieder auf - in die damals noch zweigleisige Zweite Bundesliga, in der sich der Verein in den Folgejahren tatsächlich zu etablieren verstand.

Mit diesem Höhenflug einher ging aber auch die Notwendigkeit, das Stadion der neuen sportlichen Umgebung anzupassen. Wollte die Union auf Dauer Profifußball bieten, musste sie die Arena nach den Maßgaben des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) erweitern. Ein erster entscheidender Schritt in diese Richtung erfolgte schließlich 1976. Die Stadt baute das Stadion aus und errichtete an einer der Längsseiten die bis heute bestehende markante Haupttribüne - was die Union wiederum erst in die Lage versetzte, sich auf Dauer in der Zweiten Liga zu behaupten.

Denn durch die neue überdachte Tribüne inklusive Presseloge und diversen Räumen im Bauch des Gebäudes verfügte der Verein nun über jene lukrativen Sitzplätze, die das wirtschaftliche Überleben sicherten. Dabei blieb das Solinger Stadion am Hermann-Löns-Weg aber immer eine eher einfache Fußballstätte. Die meisten Zuschauer standen weiterhin auf den Stehtraversen mit den wenigen Stufen, die sich um die gesamte Anlage zogen - und waren aufgrund der fehlenden Überdachung an drei Seiten Wind und Wetter ausgesetzt.

Das jedoch störte in den 70er- und 80er-Jahren noch kaum jemanden. Die Fans pilgerten in Scharen nach Ohligs, der Club wurde zu einer festen Größe in der Zweiten Liga Nord. Und als sich der DFB schließlich dazu entschloss, das Unterhaus des deutschen Profifußballs in einer Staffel zusammenzufassen, bemühte sich die Union wie selbstverständlich um einen Startplatz in der neuen eingleisigen Zweiten Bundesliga.

Womit indes der nächste Ausbauschritt für die Arena am Hermann-Löns-Weg verbunden war. Der Verband verlangte von allen Clubs eine Flutlichtanlage. Immerhin sollte auch die Zweite Liga fortan häufiger im Fernsehen präsent sein, was wiederum einer TV-tauglichen Ausleuchtung in allen Stadien bedurfte, damit die Kamerateams auch abends die Spiele ins rechte Licht zu rücken vermochten.

Tatsächlich schafften es die Stadt und der Verein in einem letzten Kraftakt, diese zusätzlichen Bedingungen des Verbandes zu erfüllen. Für die vergleichsweise bescheidene Summe von rund 1,36 Millionen D-Mark sowie auf maßgebliche Veranlassung des seinerzeitigen Union-Präsidenten Bernd Wiltz bekam das Stadion am Hermann-Löns-Weg seine Flutlichtanlage. Diese leuchtete erstmals am 13. Dezember 1982. Bei einem Freundschaftsspiel gegen Schalke 04 ging in der Ohligser Heide das Licht an, wobei die Union-Profis die Gäste aus dem Ruhrgebiet mit einem für heutige Verhältnisse schier unglaublichen 4:0 nach Hause schickten.

Gleichzeitig zeichnete sich aber schon damals ab, dass die Zweite Liga für die Union langfristig wohl eine Nummer zu groß sein würde. Denn die Sponsorengelder aus der heimischen Wirtschaft flossen lediglich spärlich, so dass zum Abschluss der Spielzeiten - trotz einiger Platzierungen in der Spitzengruppe - stets ein wirtschaftliches Minus stand.

Was folgte, war ein erster Niedergang auf Raten. Sommer für Sommer verkauften die Club-Verantwortlichen die besten Spieler, um die Löcher in der Kasse zu stopfen. Ein fortwährender sportlicher Aderlass, der auf Dauer nicht gut gehen konnte. Am Ende der Spielzeit 1988/89 stieg Union Solingen schließlich aus der Zweiten Liga ab, wobei damals wahrscheinlich nur die wenigsten der Fans, Spieler und Funktionäre die Fantasie aufbringen konnten, dass dies ein Abschied für immer sein würde.

Dies ist inzwischen 27 Jahre her. Und im Stadion selbst erinnern - neben dem einstigen Raum für die Pressekonferenzen sowie einigen abblätternden Werbebanden - längst nur noch vergilbte Zeitungsausschnitte sowie Poster, die irgendwer einmal an eine Wand in den Katakomben unter der Haupttribüne gehängt hat, an die glorreichen Zeiten des Vereins.

Auch sonst sticht der Verfall des alten Stadions inzwischen an allen Ecken und Enden sprichwörtlich ins Auge. Das Flutlicht erlosch bereits 2009, weil Ersatzteile für die Anlage fehlten. Und nach der Pleite von 2010 erobert sich inzwischen die Natur das Areal am Hermann-Löns-Weg zurück, noch bevor die Abrissbagger der Arena endgültig den Garaus machen werden. Die Stehwälle unterhalb der Tribüne, eine Kurve sowie die Gegengerade sind mit Pflanzen überwuchert. Seit das Stadion gesperrt ist, hat sich dort, wo früher einmal Tausende die Union anfeuerten, ein echtes Biotop mit richtigen Bäumen und einer undurchdringlichen Vegetation gebildet, das die alten Ohligser Tage allenfalls noch erahnen lässt. Und selbst damit dürfte es bald vorbei sein. Einstweilen sowie bis auf Abruf nutzt zwar der OFC Solingen, der nach der letzten Insolvenz von einer Gruppe Ex-Unioner gegründet wurde, einige Räume des Stadions.

Aber das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass sich OFC-Chef Peter Deutzmann und seine Kollegen aus dem Vorstand irgendwelchen Hoffnungen hingeben, das "HLW" am Ende doch noch zu retten. "Diese Zeiten sind ein für allemal vorbei", sagt Peter Deutzmann heute. Dabei klingt der Mann, der viele Jahre für die Union arbeitete, bei diesen Worten nicht einmal bitter. Man könne die Uhr schlicht und ergreifend nicht zurückdrehen, gibt Deutzmann zu bedenken.

Wohl versteht der OFC-Vorsitzende die nostalgischen Gefühle vieler Union-Fans in Bezug auf das Stadion nach wie vor sehr gut. Aber richtig nachempfinden vermag er solche Emotionen schon lange nicht mehr. "Es wäre angesichts der augenblicklichen Lage des Solinger Fußballs einfach Wahnsinn, ein so großes Stadion zu erhalten", sagt Peter Deutzmann, der stattdessen lieber in die Zukunft blickt.

Sein Verein steht in diesem Frühsommer 2016 auf dem Sprung von der Kreisliga B in die Kreisliga A. Und wer weiß, vielleicht wird der OFC eines Tages ja auch auf die Union treffen. Das wären dann Spiele, denen erneut viele Solinger Fußballfans entgegenfiebern würden. Fast so wie damals, als die alte Union noch in der Zweiten Liga oder in der Oberliga auf Torejagd ging und die Massen in ihren Bann zog.

Allein die Liga wäre bei diesen Duellen eine andere - und natürlich der Ort des sportlichen Geschehens. Denn die vier imposanten Flutlichtmasten des alten Stadions am Hermann-Löns-Weg wirken schon lange nur noch wie Leuchttürme einer Zeit, als in der Ohligser Heide der große Fußball zuhause war.

(RP)
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