Solingen Streit um Apfelbäume und Büstenhalter

Solingen · Herbert Gerbig hat in 25 Jahren Tätigkeit als Schiedsmann viel erlebt. In weit mehr als 50 Prozent der Fälle kann der 68-Jährige eine Einigung der Parteien erzielen. Den Gerichten werden durch dieses Ehrenamt hohe Kosten erspart.

Die beiden alten Damen waren kaum zu bremsen, und eine hatte sogar Anschauungsmaterial in Form von Schlüpfern und Büstenhaltern mitgebracht, denn um diese Kleidungsstücke ging es bei dem Fall, der im Büro von Schiedsmann Herbert Gerbig an der Sauerbreystraße landete. Einst eng befreundet, hatten die Damen in Urlaubszeiten wechselseitig die Wohnungen gehütet. Das ging immer gut bis zu jenem Tag, an dem Schlüpfer und BH's verschwanden. Die Freundin wurde verdächtigt, die Dessous gestohlen zu haben, letztlich entschlossen sich die beiden, den delikaten Fall vors Schiedsgericht zu bringen.

In den 25 Jahren, in denen Herbert Gerbig nun dieses Ehrenamt ausübt, mangelt es an kuriosen Fällen nicht. Der 80-Jährige zum Beispiel, der kaum die drei Stockwerte bis zum Büro von Herbert Gerbig schafft, wenige später aber gelenkig und flink sein Gegenüber, eine ungeliebte Nachbarin, mit dem Krückstock attackieren will. Hier ist Fingerspitzengefühl ganz besonders angesagt, um die Situation zu entschärfen, weiß Herbert Gerbig, der wie seine Kolleginnen und Kollegen regelmäßig geschult wird. Manchmal, so der 68-Jährige, muss aber auch ein Machtwort gesprochen werden.

Gerbigs Erfolgsquote ist hoch, in manchen Monaten enden 80 Prozent der Fälle mit einer Einigung, manchmal sind es nur 60 Prozent, aber immer mehr als die Hälfte, berichtet der Oberleitungsmonteur, dessen berufliche Laufbahn 1988 durch einen schweren Arbeitsunfall jäh endete. "Ich war 42 Jahre alt, als ich zum Frührentner wurde", berichtet der Sozialdemokrat, dessen Partei ihn dann für das Amts des Schiedsmanns begeistern konnte. Im Mai 1990 wurde er zum Schiedsmann gewählt, in diesen Tagen überreichte ihm Amtsgerichtsdirektor Markus Asperger die Urkunde für 25 Jahre Einsatz in dem Ehrenamt.

"Fetzen, klären, einigen, vertragen", so beschreibt Herbert Gerbig den idealen Ausgang eines Verfahrens vor dem Schiedsgericht, "wichtig ist die Einigung im Beisein der Schiedsperson, am Ende soll es keinen Verlierer und keinen Gewinner geben." Egal, ob es um die Apfelbäume geht, deren Äste zu weit ins nachbarliche Grundstück ragen oder die Beleidigung am Gartenzaun. Ist eine Einigung erfolgt, fertigt der Schiedsmann ein Protokoll. "Es soll eine Einigung auf Augenhöhe sein", so Gerbig.

Der Weg dahin ist oft mühsam und kann mehrere Stunden dauern. Manchmal kann noch so viel Können und Fingerspitzengefühl die Streithähne nicht davon abhalten, trotzdem vor Gericht zu ziehen. Zum Beispiel in dem Fall der Hundebesitzerin, die sich dagegen wehrte, dass ein Nachbar sie und ihren Vierbeiner beim Spaziergang immer filmte. Herbert Gerbig sah sich den Prozess vor dem Amtsgericht an. Und da kam Erstaunliches zutage. Nachdem zunächst alle Beteiligten auf der Seite der zwangsüberwachten Frau waren, brachte einer der vom Nachbarn aufgenommenen Filme die Wendung. Darauf war zu sehen, wie der Hund am Auto des Nachbarn das Bein hob und Frauchen zusätzlich kräftig auf die Motorhaube des Pkw schlug.

Doch die meisten Fälle, die nach einer Anzeige bei der Polizei und der Prüfung durch die Staatsanwaltschaft zum Schiedsmann verwiesen werden, können ohne gerichtliches Zutun geklärt werden. Für Herbert Gerbig ist es immer wieder ein Erfolgserlebnis, wenn vormals hoffnungslos zerstrittene Parteien sein Büro als Freunde wieder verlassen. - Auf die Vorlage von BH und Schlüpfer im Fall der beiden alten Damen hat er übrigens dankend verzichtet.

(RP)
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