Solingen Über 800 neue Familien bei der Tafel

Solingen · 3.158 Personen versorgt die Einrichtung derzeit mit Lebensmitteln - rund 40 Prozent davon sind Flüchtlinge.

Um Punkt 15.15 Uhr öffnet Brigitte Funk an diesem Nachmittag die gläserne Schiebetür an der Ernst-Woltmann-Straße für die ersten Kunden. Alles ist für sie vorbereitet: Etliche Körbe mit Brot sind aufgefüllt, Kisten mit Obst und Gemüse bestückt, Käse, Wurst und Salate im großen Kühlschrank sortiert. Sechs Mitarbeiterinnen stehen bereit, um die Lebensmittel auszugeben.

Hinter ihnen, den anderen ehrenamtlichen Mitarbeitern und der Vorsitzenden Brigitte Funk liegen Monate, in der die Kundenzahl der Tafel ein weiteres Mal kräftig angestiegen ist: 842 Familien hat die Einrichtung von Januar bis September dieses Jahres neu aufgenommen, sieben bis acht Neukunden am Tag. 1441 Familien sind damit aktuell registriert - 2134 Erwachsene und 1024 Kinder, die mit Lebensmitteln versorgt werden.

Etwa 40 Prozent davon, insgesamt 607 Familien, sind Flüchtlingsfamilien. "Das sind natürlich gewaltige Zahlen, die sich in den nächsten Monaten vermutlich auch noch einmal steigern werden. Wir können nur bereitstehen und gucken, wie wir die Versorgung aufrecht erhalten können, wie lange die Lebensmittel reichen, wie lange die Räumlichkeiten groß genug sind", so Brigitte Funk. Um der jetzt schon hohen Kunden-Frequenz gerecht werden zu können, dürfen Zwei-Personen-Haushalte neuerdings nicht mehr (wie bisher) zwei mal die Woche zur Ausgabe kommen, sondern nur noch einmal. Und auch sonst verändert sich die Arbeit der Tafel unter den sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, und mit all den Menschen, die aus der Not, aus Krieg und Elend, in die Klingenstadt kommen: "Viele von ihnen kennen eine ganz andere Esskultur", sagt Brigitte Funk.

Grau- und Körnerbrote oder bestimmte Käsesorten seien den meisten der Neukunden fremd, genauso wie Kohl, Wirsing oder hiesige Gemüsesorten, von denen viele der Flüchtlinge nicht wissen, wie sie zuzubereiten sind. Wenn sie die Zeit haben, erzählt Brigitte Funk, ließen sie die Menschen die fremden Nahrungsmittel probieren. "So kam es, dass ein junger Afrikaner hier kürzlich das erste Mal in seinem Leben Erdbeeren gekostet hat." Problematisch werde es beim Fleisch: Viele Kunden seien Moslems, die Bestände an Geflügel-Fleisch und -Wurst reichen bei Weitem nicht aus.

Hinzu kommen oft sprachliche Barrieren. "Wir sprechen hier so viel Englisch wie noch nie zuvor und haben mittlerweile glücklicherweise auch eine syrische Helferin, die übersetzen kann. Dennoch sind die Gespräche oft schwierig. Es dauert alles länger, vieles ist zeitintensiver geworden." Am Selbstverständnis, an der Freundlichkeit und der Empathie, mit der die Helfer ihrer Aufgabe bei der Tafel nachkommen, ändert all das nichts. "Hier ist jeder willkommen", sagt Brigitte Funk, "und vor allem ist hier jeder gleich. Wer bei uns anfängt, gegen Ausländer zu stänkern, fliegt direkt raus", macht die Tafel-Vorsitzende mehr als deutlich. Das scheinen auch die Kunden zu wissen: Eine Reihe von ihnen kommt mittlerweile nicht mehr zur Tafel, weil sie nicht mit den Flüchtlingen in einer Reihe stehen wollen. Insgesamt sind bei der Tafel jedoch in diesem Jahr doppelt so viele Kunden hinzugekommen wie - aus den verschiedensten Gründen - weggeblieben sind.

Derzeit, sagt Brigitte Funk, sei die Versorgung der Kunden für die Tafel noch gut zu leisten: 39 Lebensmittel-Geschäfte fahren die Fahrer mit zwei Kühlwagen an, momentan bekommen sie ausreichend Lebensmittel aus den Supermärkten. Rund 60 Ehrenamtler helfen, die Lagerkapazitäten des Ladens sind ausreichend. "Natürlich ist es möglich, dass es im Winter, wenn die Geschäfte weniger Obst und Gemüse haben, zu Engpässen kommt. Darauf können wir aber nicht einwirken. Unser Ziel ist es, ein Aufnahmestopp bei der Tafel zu verhindern."

(RP)
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