Fahrt über die Müngstener Brücke Über dem bergischen Märchenland

Solingen · Die Müngstener Brücke ist mehr als hundert Jahre alt und deutschlands höchste Eisenbahnbrücke. Der Blick von oben ist märchenhaft. Wir waren mit der S7 auf der Brücke unterwegs.

 Die 22-jährige Martine Mirbach genießt den Ausblick von der Müngstener Brücke. "Für mich schaut es aus wie in einem Märchen", sagt sie.

Die 22-jährige Martine Mirbach genießt den Ausblick von der Müngstener Brücke. "Für mich schaut es aus wie in einem Märchen", sagt sie.

Foto: Laura Harlos

Vorbei an Industriehallen, Baustellen, verblassten Graffiti und Waldhängen, die mit Plastik- und Papiermüll übersäht sind: Die Fahrt mit der S7 zwischen Solingen Hauptbahnhof und Wuppertal-Oberbarmen zeigt den tristen Alltag in all seiner Hässlichkeit.

Doch wenn der Abellio-Zug den Bahnsteig der Station Solingen-Scharberg verlässt und weiter Richtung Remscheid fährt, passiert etwas außergewöhnliches: Fahrgäste schauen von ihren Smartphones, Tablets oder Laptops auf; zwei Frauen, die Sekunden zuvor noch aufgeregt miteinander schnatterten, schweigen, und selbst der vor sich hindösende Teenager beendet sein Nickerchen und schaut aus dem Fenster.

Die Zeit steht still

Die 465 Meter lange Fahrt über die Müngstener Brücke lässt die Zeit für ein paar Sekunden stillstehen. Der morgendliche Nebel schwebt über den Baumspitzen, die Wupper glitzert in den Strahlen der aufgehenden Sonne. Ein Meer aus Bäumen erstreckt sich über die Berge - kein Ende in Sicht. Von hier oben, 107 Meter über dem Tal der Wupper, verwandelt sich das Bergische Land für einen kurzen Augenblick in eine Märchenlandschaft, die zum Staunen und Träumen einlädt.

"Als ob ich plötzlich durch eine Filmkulisse fahre", sagt Birgit Emmrich, "es ist wunderschön und kommt so unerwartet." Die 48-jährige Solingerin fährt jeden Morgen mit der S7 nach Remscheid zur Arbeit. Auch wenn sie den Abschnitt zwischen Solingen-Scharberg und Remscheid-Güldenwerth schon hunderte Male gefahren ist, erlebe sie immer noch einen "Wow-Moment". "Für die paar Sekunden verschwindet alles andere aus dem Kopf - Gedanken über die Arbeit und andere Sorgen", erzählt Emmerich. Am liebsten würde sie jedes Mal sofort aussteigen und loswandern.

Brücke wurde 1897 eröffnet

Die Müngstener Brücke ist neben Schloss Burg eines der Wahrzeichen des Bergischen Landes, und sie hat eine lange Geschichte: Im Februar 1894 begann der Bau der heute höchsten Eisenbahnbrücke Deutschlands, damals noch unter dem Namen Kaiser-Wilhelm-Brücke. Rund drei Jahre später, 1897, wurde sie eröffnet. Nach etlichen Sperrungen, Bauarbeiten und Verzögerungen fährt die S7 seit Ende Juli 2015 über die Brücke. Seit der Eröffnung fährt Abellio-Kontrolleur Jean Pierre die Strecke mehrmals täglich.

"Zwischen den Haltestellen Scharberg und Güldenwerth störe ich meien Fahrgäste nicht", sagt Pierre, "sie sollen die Natur und den Ausblick genießen." Es komme ihm aber auch ganz gelegen, denn er habe Höhenangst; manchmal sei ihm immer noch etwas mulmig. "Für die Leute ist es ein absolutes Highlight auf der Fahrt", sagt er, "wenn der Nebel morgens noch über dem Tal hängt, ist es, als fliege man mit einem Flugzeug über den Wolken."

Ein Fan der Fahrt über die Müngstener Brücke im Nebel ist auch Martine Mirbach. Regelmäßig pendelt die Auszubildende von Remscheid nach Solingen um Familie und Freunde zu besuchen. Stolz zeigt die 22-Jährige ihre Fotoaufnahmen auf dem Smartphone. Mindestens 25 Fotos hat sie dieses Jahr schon während der Zugfahrt geschossen. "Mit der Nebeldecke sieht es unglaublich toll aus, so mystisch", schwärmt Mirbach. Besonders freue sie sich auf die Fahrten im Herbst, denn zu der Zeit sei alles immer schön bunt. "Ich habe mir auch schon eimal vorgestellt, wie eine böse Hexe oder ein Prinz auf seinem Pferd zwischen den Bäumen hervorkommt." Es sei märchenhaft.

Die S7 hält in Remscheid-Güldenwerth. Plastik- und Papiermüll hängen zwischen den Schienen und im Gebüsch; Rauchwolken steigen aus dem Schornstein der Industriehalle auf. Auf der anderen Seite reihen sich graue Wohnblöcke aneinander. Die Märchenlandschaft ist verschwunden.

(laha)
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