Analyse Unendliche Geschichte der Bettelaktion

Solingen · Ansichtssache Die Unterschiede zwischen notleidenden und finanziell gut ausgestatteten Kommunen werden in Deutschland immer größer. Das 52 Mitglieder zählende Aktionsbündnis "Für die Würde unserer Städte" versucht, in der Bundespolitik etwas zu bewegen.

 % Zwölf Jahre liegt die Bettelaktion der Bergischen Oberbürgermeister um Solingens damaligen OB Franz Haug (4.v.l.) und Landräte in Berlin inzwischen zurück.

% Zwölf Jahre liegt die Bettelaktion der Bergischen Oberbürgermeister um Solingens damaligen OB Franz Haug (4.v.l.) und Landräte in Berlin inzwischen zurück.

Foto: von Randow

Die Demonstration der bergischen Oberbürgermeister in dieser Woche vor dem Kanzleramt in Berlin hat bereits eine historische Dimension. Im "Haus der Geschichte" in Bonn hängt ein Foto mit den ersten drei Kuttenträgern aus dem Städtedreieck aus dem Jahr 2003: Franz Haug (Solingen), Fred Schulz (Remscheid) und Hans Kremendahl (Wuppertal). Das Foto könnte auch die Bildunterschrift tragen: Aufstand der Vergessenen.

Das Bergische Städtedreieck blutet aus, lautet die Losung der Oberbürgermeister als Bettler. Nicht weil die Kommunen das Steuergeld zum Fenster rausschmeißen, sondern weil die Politiker in Berlin und in Düsseldorf immer mehr Gesetze erlassen haben, die die klammen Kommunen bezahlen müssen. Zum Beispiel der Ausbau der Kindertagesstätten, damit der gesetzliche Anspruch auf einen Kindergartenplatz erfüllt werden kann. Und jede Menge Pflichtaufgaben im Sozialbereich.

Die bergischen Probleme haben benachbarte Oberbürgermeister lange weggelächelt. Der Kreis Mettmann prosperiert im rheinischen Speckgürtel, Düsseldorf entledigte sich aller Schulden durch den Verkauf seiner Stadtwerke, und Langenfeld hat die Schuldenuhr auf null gestellt. Wenige Kilometer von Solingen entfernt kennen die Menschen das Wort Krise nicht. Es gibt dort Kommunen ohne Kindergartenbeiträge, üppig ausgestattete Schulen, eine komfortable Infrastruktur und eine Kulturlandschaft, die finanziell aus einigermaßen gesicherten Beinen steht. Angesichts dieser immer weiter auseinanderklaffenden Lebensverhältnissen fühlten sich die Bergischen lange Zeit von der Landesregierung wie ein Stiefkind behandelt. Das meiste Fördergeld floss ins Ruhrgebiet, dorthin, wo die Kumpel und traditionellen SPD-Wähler wohn(t)en, beklagten die Bergischen. Sie bekamen nur ein paar Förder-Krümel. Darauf wollte vor allem der zweite Protest vorm Kanzleramt einige Jahre später mit Beate Wilding, Norbert Feith und Peter Jung aufmerksam machen.

Die OBs haben gewechselt, das Problem der chronischen Unterfinanzierung verschärfte sich hingegen. Es drohte das Abrutschen in die Überschuldung. Was die Landesregierung aus CDU und FDP unter Jürgen Rüttgers (CDU) ignoriert hatte, korrigierte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Um den finanziellen Kollaps im Bergischen zu vermeiden, legte sie einen Stärkungspakt auf. Der Deal: Die Kommunen bekommen Geld, wenn sie ab 2016 keine neuen Schulden mehr aufnehmen müssen. Ein erster Lichtblick. Aber auch ein harter und weiterhin unsicherer Weg. Denn an der Politik des Bundes hat sich nicht viel geändert. Nur zögerlich entlastet er die Kommunen.

Zum Glück stehen die Bergischen heute nicht mehr allein mit ihren Sorgen da. Auch die andere Kommunen - vor allem im Ruhrgebiet - haben erkannt, dass bei der Finanzierung der kommunalen Etats weiter etwas aus dem Ruder läuft. Das Kapitel "Bergische Oberbürgermeister in Bettlerkutten" ist noch nicht zu Ende geschrieben.

(RP)
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