Solingen Unterrichtsausfall: Eltern fühlen sich hilflos

Solingen · Alarmstimmung in Schulen, weil so viele Stunden wegen fehlender Lehrer nicht gegeben werden. "Unterrichtsausfall ist bei uns Normalität", sagt eine Achtklässlerin – und eine Grundschullehrerin: "Wir verwalten den absoluten Mangel."

Alarmstimmung in Schulen, weil so viele Stunden wegen fehlender Lehrer nicht gegeben werden. "Unterrichtsausfall ist bei uns Normalität", sagt eine Achtklässlerin — und eine Grundschullehrerin: "Wir verwalten den absoluten Mangel."

Seit 2011 legt das Land keine Statistik zum Unterrichtsausfall mehr vor. Doch Solinger Eltern ziehen nun für ihr Kind, Schülerin in Klasse 8 eines hiesigen Gymnasiums, eine persönliche Bilanz: "Unsere Tochter hat jetzt weniger Unterricht als in der vierten Klasse der Grundschule. Wie soll sie da das Abitur schaffen?"

Vergangenen Montag ist bei der 13-Jährigen die erste Stunde ausgefallen; in der zweiten gab's Vertretungsunterricht. Am Dienstag war es wieder so. Gestern wurde der Stundenplan in der Klasse erneut umgestellt, damit die Schule den Spagat hinbekommt. "Unterrichtsausfall ist bei uns doch Normalität", sagt die Achtklässlerin. Lediglich 25 Schulstunden sind es im Schnitt in der Woche, mehr als 30 sollten es eigentlich sein.

Für ihre Mutter und ihren Vater bedeutet dies schlaflose Nächte. "Als Eltern fühlt man sich hilflos." Da nutze es auch nicht, wenn bei Elternabenden herausgestellt werde, dass die Schule bei den Lernstandserhebungen stets sehr gut abgeschnitten habe. "Wir Eltern haben das Gefühl, es wird ein Notprogramm gefahren."

Das ist kein Einzelfall: Für die achte Klasse eines anderen Solinger Gymnasiums ist Deutsch auf dem Stundenplan seit dem Ende der Weihnachtsferien erst einmal gestrichen: Die Klassenlehrerin verabschiedete sich Anfang Dezember in den Mutterschutz, die eingesetzte Vertretung erkrankte. Die zu schreibende Deutsch-Arbeit fiel ins Wasser, nach einer neuerlichen Vertretungslösung wird weiter gesucht. Nicht nur die Schüler fragen sich: "Wie und durch wen wird die Deutsch-Note für das Zeugnis ermittelt?" Eltern sind auch mit Blick auf das Turbo-Abitur, das den Kindern ein Jahr weniger Zeit lässt, verärgert: "Der Unterrichtsausfall hat ein unerträgliches Ausmaß angenommen." Wolfgang Sinkwitz, Vorsitzender der Stadtschulpflegschaft, überrascht die Verärgerung nicht: Schon vor einem Jahrzehnt habe die Stadtschulpflegschaft bei Eltern den Unterrichtsausfall ihrer Kinder erfragt. Ergebnis: Zehn Prozent der Schulstunden werden nicht erteilt. "Gefühlt waren es sogar 15 Prozent." Denn Vertretungen und all jene Stunden, in denen Kinder mit Arbeitsblättern ohne Lehrer die Zeit überbrückten, müssten ebenso berücksichtigt werden, erklärt Sinkwitz. Sein Eindruck heute: "Der Unterrichtsausfall ist jetzt sogar noch schlimmer geworden." Das betrifft bereits Grundschulen, denen unterrichtendes Personal fehlt. "Wir verwalten den absoluten Mangel", sagt eine Lehrerin, die in der Klingenstadt unterrichtet. "Der permanente Wechsel durch Vertretungsstellen ermüdet uns ungemein."

Jens Merten ist Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in Solingen. Problem ist, dass die Schulen am Limit planen müssten, sagt er. Bei Erkrankungen beispielsweise werde dann eine Lücke im System gerissen.

Fällt ein Lehrer über einen längeren Zeitraum aus, können Schulen dies über Vertretungsstellen ausgleichen. Bei kurzfristigen Erkrankungen und all jenen bis zu zwei Monaten greift dies aber in der Form nicht. Bildungsverbands-Vorsitzender Merten spricht sich jedenfalls für einen Überschuss bei der Lehrerstellenbesetzung aus. Dies ist ebenso Tenor bei der Lehrergewerkschaft GEW in Solingen. "Wären die Stellen mit 104 Prozent besetzt", sagt ein Mitglied unserer Zeitung, "könnten Erkrankungen und Klassenfahrten im eigenen Haus ausgeglichen sowie sogar noch in anderen Schulen geholfen werden, falls dort zusätzliche Vertretungslehrer gebraucht würden."

Die Realität sieht aber offensichtlich anders aus: "Die Hürde, einen Vertretungslehrer zu bekommen, wird für uns immer höher gesetzt", heißt es aus Schulleitungskreisen in Solingen. Wunsch auch hier: "Wir brauchen eine Reserve, um bei einer plötzlichen Erkrankung reagieren zu können."

Für Elternvertreter Wolfgang Sinkwitz wäre es ein Idealzustand, wenn direkt über das Schulsekretariat sogleich ein Ersatzpädagoge angefordert werden könnte, sobald ein Klassenlehrer mit Fieber für die nächsten Tage erst einmal ausfällt. Sinkwitz gibt sich keinen Illusionen hin: Dazu braucht es mehr Geld für Bildung und mehr Lehrerstellen.

(RP)
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