Solingen Vitamine aus der Zahnpasta-Tube

Solingen · Es geht nicht nur um Ernährung, sondern um eine Lebensweise: Joachim Hiller informierte rund um das Thema Vegan.

Weihnachten? Ist das wirklich schon zwei Wochen her? Ja, der knusprige Gänsebraten, die knackigen Würstchen mit Kartoffelsalat, der saftige Sauerbraten und der himmlische Heringssalat sind wiedermal Geschichte. Aber das große Fleischessen geht ja weiter. Allerdings nicht für alle. "Innerhalb einer Generation hat sich der Fleischkonsum in Deutschland verdoppelt", sagt Joachim Hiller, Vorsitzender des im vergangenen Jahr gegründeten Vereins Vegan in Solingen. "Fleisch war früher eine Randerscheinung. Heute steht es im Mittelpunkt." Alles andere werde da zur Beilage degradiert.

Veganer, Vegetarier und einfach nur Interessierte kamen zahlreich am Donnerstagabend in die Stadtbibliothek. Im Rahmen der Aktionswochen "Ich und meine Stadt - Zukunft gestalten" informierte Hiller über das Thema Vegan. Das geschah allerdings nicht in einem drögen Vortrag, sondern in einem recht regen Dialog mit den Besuchern.

Zunächst erläuterte Hiller, dass es nicht nur um Ernährung gehe, sondern um eine Lebensweise. "Es ist ein Lebensstil, gegen den nichts spricht." Oft werde er gefragt, was man als Veganer denn noch essen darf. "Wir dürfen alles, aber wir wollen es nicht. Vegan zu leben ist eine bewusste Willensentscheidung." Bei der Ernährung aber fängt es an. "Tiere umzubringen, um zu essen, das geht für uns gar nicht." Das gelte auch bei artgerechter Tierhaltung. Denn das einzig Artgerechte sei die Freiheit. Deshalb sind für den Veganer auch Milchprodukte und Eier tabu. "Denn auch das stammt aus demselben System einer Verwertungskette der Tiere."

Nun sind Veganer keine spindeldürren Hungerhaken, die an der rohen Möhre knabbern. "Man kann sich als Veganer sehr vielfältig und ausgewogen ernähren." Selbst für den, der den Wurstgeschmack liebt oder die Textur von Fleisch, gibt es alternative Produkte. Wer nicht raucht, mäßig trinkt und vegan lebt, habe nach einer Statistik eine höhere Lebenserwartung als der Allesesser.

Der Einwand einer Besucherin ist der Mangel an Vitamin B 12 bei veganer Ernährung. B 12 gibt es fast ausschließlich in tierischen Produkten. "Das kann natürlich zum Problem werden", räumt Hiller ein. Dafür gebe es aber Vitaminpräparate. Selbst das Zähneputzen mit einer speziellen B-12-Zahnpasta reiche völlig aus. Eine weitere Frage: Wo man denn preiswert vegane Lebensmittel bekomme, ohne lange suchen zu müssen? Hiller: "Man kann sich so auch auf Discounterbasis ernähren." Man kann die Obst- und Gemüseregale entlang gehen.

Zudem sind getrocknete Hülsenfrüchte Grundlage für viele verschiedene Gerichte. Aber man solle das Kleingedruckte lesen: Was ist da drin? Wo kommt es her? Wie ist es verpackt? "Das ist ein Anfang, über die Ernährung nachzudenken, in einer Zeit, in der man sich Tag und Nacht an jeder Ecke mit Mist vollstopfen kann."

Da fällt auch die Bio-Ananas aus Mittelamerika durch, die mit Schlachtabfällen gedüngt wird. Auch der mit Kuhmist gedüngte Kopfsalat ist nichts für den veganen Teller. So komme man ganz rasch zum Thema Nachhaltigkeit.

Um ein Kilo Fleisch zu erzeugen, benötigt man sieben Kilo pflanzliche Nahrung. Um den Bedarf an Fleisch in der Europäischen Union zu decken, wird in Südamerika Futtermittel auf einer Fläche von der Größe Englands angebaut. In Deutschland werden jährlich 200 Millionen Tonnen Gülle - inklusive Antibiotika - auf die Felder gekippt, die das Trinkwasser unbrauchbar macht. "Das billige Steak im Supermarkt wird auf Kosten der Allgemeinheit hergestellt."

Dazu kommt, dass die Hälfte des weltweiten CO2-Ausstoßes auf die Nahrungsmittelproduktion zurückgeht - doppelt so viel wie beim Straßenverkehr. Man solle nicht gleich Veganer werden, aber man solle anfangen, sich mit solchen Themen zu beschäftigen. "Man kann die Welt nicht an einem Tag retten, aber dieses Thema hat eine Zukunft", sagt Joachim Hiller.

(RP)
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