Interview: Serie (m)ein Lieblingsstück Von Afrika bis ins Bergische Land

Solingen · Eine kleine Schatulle aus afrikanischem Elfenbein erzählt auf Schloss Burg vieles über die Geschichte des Mittelalters.

Im Kerosin-Zeitalter der Düsenflugzeuge und der Billigangebote ist die Strecke von Afrika über Italien in die rheinischen und bergischen Gefilde zwar immer noch beachtlich. Aber spektakulär ist es wirklich nicht mehr. Das war vor über 800 Jahren natürlich ganz anders. Der Weg war zwar genauso lang, aber zu Fuß, per Schiff und auf dem Pferderücken eine anstrengende und oft auch lebensgefährliche Unternehmung. Nicht nur deshalb gehört eine kleine Schatulle zu dem Lieblingsstücken von Gregor Ahlmann. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter ist der Historiker unter anderem für die Sammlung im Museum auf Schloss Burg zuständig.

Das Kästchen besteht aus purem Elfenbein, das vom schwarzen Kontinent stammt und um 1200 von arabischen Künstlern auf Sizilien angefertigt wurde. Besonders beeindruckend sind die filigran gearbeiteten Messingbeschläge und die orientalischen Ornamente. Am Inneren kann man noch erkennen, dass diese Schatulle auch einmal mit Stoff ausgeschlagen war. "Wahrscheinlich wurden Reliquien und Schmuck darin aufbewahrt", erläutert Ahlmann. "Die spannende Frage aber ist, wie so ein Stück ins Bergische Land und ins Burger Schloss gekommen." Elfenbein ist nun einmal kein europäischer Werkstoff und arabische Handwerker gab es hier im Mittelalter auch nicht. Ähnliche Stücke gibt es auch in den Kölner Kirchenschätzen.

Die Lösung des Rätsels führt direkt zu Graf Engelbert von Berg. "Kaiser Friedrich II. Barbarossa hielt sich ja meistens in Italien und besonders auch auf Sizilien auf", sagt Ahlmann. "Nördlich der Alpen war sein Stellvertreter zuständig." Und das war als Reichsverweser, heute würde man Gouverneur sagen, Graf Engelbert, der damit nach Kaiser Barbarossa der zweitmächtigste Mann im Reich war. Der Kaiser versuchte, den orientalischen Einfluss in seinem Machtbereich immer weiter zurückzudrängen. Aber die kulturellen Einflüsse überlebten die Machtverhältnisse. So gab es im schon lange wieder unter christlicher Kontrolle geratenen Sizilien immer noch eine große arabische Tradition was Kunst und Kunsthandwerk betraf. "Dazu kommen die intensiven Handelsbeziehungen mit dem Mittleren Osten, die fast alle über Italien liefen." Besonders über große Handelsstädte wie Venedig oder Genua. So gelangten auch die aus afrikanischem Elfenbein in arabischer Tradition gefertigten Kunstwerke über die Alpen - und besonders in unsere Region, wo Engelbert sowohl Erzbischof von Köln war wie auch Herrscher über das Bergische Land.

Gregor Ahlmann: "Es gab eine intensive Kommunikation zwischen Kaiser und Reichsverweser. Die fand über Boten statt, die den beschwerlichen Weg über die Alpen nehmen mussten." Auf diesem Weg kam auch manche Ware aus dem Orient oder aus Afrika in den Bereich des Kölner Erzbischofs. Es gab einen ausgedehnten Austausch zwischen Morgen- und Abendland. "Das widerspricht dem überkommenen Bild vom finsteren Mittelalter", erläutert der Historiker. Da saß man eben nicht nur auf seinem Dorf oder seiner Burg und überfiel bestenfalls mal seine Nachbarn. "Auch dass die Burgen aus Stein gebaut wurden und nicht wie herkömmlich aus Holz, war eine Technik, die aus dem Orient mitgebracht wurde." Das hängt eng mit den Kreuzzügen zusammen. "Und die Grafen von Berg waren begeisterte Kreuzfahrer." So zog es auch Graf Adolf III. Richtung Heiliges Land. In Ägypten ist er allerdings umgekommen. Seine Nachfolge trat sein Bruder Engelbert an - zum Verdruss der ehrgeizigen Verwandtschaft. So ließ bekanntlich sein Neffe Friedrich von Isenberg den Grafen und engen Vertrauten des Kaisers 1225 durch gedungene Mörder bei Gevelsberg aus dem Weg räumen.

So kann eine kleine Schatulle viel über die Geschichte des Mittelalters erzählen. Sie ist auch ein Zeichen für den Wandel in der Wissenschaft. "Einst beschäftigten sich die Historiker nur mit den Dokumenten, die Gegenstände und Kunstwerke waren Sache der Kunsthistoriker", so der Mittelalterexperte, dem auch Dinge wie das Elfenbeinkästlein etwas erzählen können. "Wenn früher Dinge zu einem gesprochen haben, hat man sich ja zuerst gefragt, was man am Vorabend geraucht hat", amüsiert sich Ahlmann. Aber heute sind auch "sprechende" Stücke wichtig für den Wissenschaftler, "wenn man die richtigen Fragen stellen kann".

Die Sammlung auf Schloss Burg habe da ein großes Potenzial. So geht es im Augenblick darum, ein neues Konzept für die Dauerausstellung zu entwickeln. Hinzu kommen die Arbeiten am Gebäude. Dafür werden Investoren gesucht, denn der Schlossbauverein alleine und die drei für das Schloss zuständigen Kommunen (Solingen, Wuppertal und Remscheid) können das finanziell nicht stemmen.

Aber das würde sich lohnen. Denn der Publikumsmagnet Schloss Burg zählte im vergangenen Jahr rund 160 000 Besucher. Etwa 90 000 besuchten das Museum, der Rest die Veranstaltungen, die im Schloss ausgerichtet wurden. Über 1000 Führungen gab es 2013. Und dabei konnte man auch die aus Sizilien stammende arabische Schatulle aus afrikanischem Elfenbein in der bergischen Burg bestaunen.

(RP)
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