Solingen Von der Reformation bis zur Gegenwart

Solingen · Ludwig Audersch, Kantor der Lutherkirche, spielte ein reines Bach-Programm zum Todestag des Thomaskantors.

Im Sommer 1750 liegt Johann Sebastian Bach im Sterben. Zwei fehlgeschlagene Operationen können ihm das Augenlicht nicht wiedergeben. Sein letztes Werk, "Achtzehn Choräle von verschiedener Art", kann der erblindete Musiker nicht mehr selbst vollenden. Die letzten Stücke diktiert er vom Bett aus seinem Schüler und Schwiegersohn Johann Christoph Altnikol in die Feder. Darunter das Choralvorspiel "Vor deinen Thron tret ich hiermit".

Sanft und versponnen und doch kraftvoll gestaltet Ludwig Audersch die drei kontrapunktischen Stimmen im zweiten Manual und im Pedal, über die sich dann das ausgezierte Thema dominant und zugleich innig erhebt: ein Sterbegesang. Mit diesem Werk beendet der Kantor der Lutherkirche sein Konzert am vergangenen Sonntag in der voll besetzten Gräfrather Klosterkirche. Sein Konzert im Rahmen des Gräfrather Orgelsommers war dem 265. Todestag des Thomaskantors gewidmet - mit Werken von Bach und Werken über Bach.

Mit dem getragenen "Vor deinen Thron tret ich hiermit" schließt sich ein mehrfacher Kreis. Zum einen beschließt der fromme Bach mit diesem Sterbechoral sein irdisches Leben. Zum anderen schlägt er den Bogen zu den Ursprüngen der Reformation. Denn der Choral geht auf eine Melodie zurück, die Guillaume Franc 1543 für den "Genfer Psalter" schrieb - das erste durchstrukturierte evangelische Gesangbuch. Locker und doch mit Würde gestaltet Ludwig Audersch dieses abgeklärte Spätwerk Bachs.

Dabei kommt ihm die gelungene Disposition der historischen Orgel der Klosterkirche entgegen. Barocke wie romantische Klangvorstellungen lassen sich hier fast ideal umsetzen. So gestaltet der Kantor der Lutherkirche ebenso verspielt wie versponnen die erste Fuge über den Namen "Bach" aus Opus 60 von Robert Schumann. Hier erklingt eine romantische Reminiszenz an vergangene Epochen, die einem doch so lebendig vor den Ohren stehen. Auch hierfür fand Audersch die richtigen Register und die wohlgestalteten Töne. Dass Bach auch bis in die Gegenwart die Komponisten inspiriert, zeigt Ludwig Audersch mit der Fantasie über den Namen "Bach" des im vergangenen Jahr verstorbenen skandinavischen Komponisten Bjarne Slogedal. Nicht avantgardistisch, aber hochvirtuos werden hier die tönenden Buchstaben in Szene gesetzt. In der Einleitung schraubt sich die Harmonik empor, über dem Bach-Motiv im Pedal fegen abgehetzte Motivketten im Manual, choralhafte Abschnitte münden fast in Clusterbildungen. Ludwig Audersch stellt mit diesem Werk ein Stück zur Diskussion, das wie eine Meditation zu verstehen ist über das Thema, was uns Bach heute noch bedeuten kann. Mit dieser Frage hat sich wohl auch Bachs Sohn Johann Christian beschäftigt. Seine Fuge über den Namen Bach erklingt gleichfalls im Konzert.

Heiter verspielt und filigran gestaltet, lässt Audersch sowohl die polyphone Vielschichtigkeit wie auch die gesanglichen Episoden aufblitzen. Und natürlich stehen Werke von Vater Bach selbst auf dem Programm. Höhepunkt sind hier Präludium und Fuge h-moll (BWV 544). Über wunderbarem Bassgang perlen die Oberstimmen, gewaltig und kunstvoll gewoben entspinnt sich die großangelegte Fuge.

Dramaturgisch geschickter Kniff: Zwischen Präludium und Fuge platziert Audersch das Choralvorspiel "Herzlich tut mich verlangen": In vielgestaltiger Vielstimmigkeit wird hier das Hauptthema umjubelt und so ein spannendes Intermezzo in Szene gesetzt. Die Vielfalt des musikalischen Denkens Bachs konnte der Lutherkirchenkantor nicht zuletzt in den neun Variationen über "O Gott, du frommer Gott" der klanglich bezaubernden Gräfrather Orgel entlocken.

(RP)
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