Solingen Weltmusik: Küssen für den Frieden

Solingen · Das Duo "Hand in Hand" bietet zwischen Fencheltee, Sperrmüll und Obertonweltgesang eine witzige Doppelbödigkeit.

Hugo hat es schwer. Hugo ist farbig und lebt im Sperrmüll von Potsdam. Aber Hugo hat Glück. Annett und Beate haben ihn aufgenommen. Jetzt ist Hugo - ein buntes, kleines Kinderxylophon - ein Teil des Schlagzeugs des Duos "Hand in Hand". Seinen großen Auftritt hat Hugo in der Nummer "Back to Dreck". Über dem sich trist drehenden E-Piano-Part klimpert er seine Melodie: der verzweifelte Gesang einer Mama. "Ich bin Mutter, ich bin Hausfrau und backe gern. Ich liebe es, Brei zu kochen, Tag für Tag, Wochen für Wochen." Und hat der Kleine Bauchweh, oje: Dann kriegt er eben Fencheltee. Da sind halt die Tage von Sex, Drugs and Rock'n'Roll endgültig vorbei.

Es ist nicht nur witzig, es ist einfach grandios, was Annett Lipske und Beate Wein mit ihren Texten und ihrer Musik bieten. Als Duo "Hand in Hand" arbeiten die beiden Mittdreißigerinnen schon rund ein Dutzend Jahre zusammen. "Texte und Musik entwickeln wir beiden gemeinsam", sagen die Singer- und Songwriterinnen. "Also, nicht eine macht den Text, und dann kommt die Musik dazu, sondern beides entsteht gleichzeitig." Dieses kreative Doppelpack konnte man am Samstagabend in der Reihe Weltmusik im Kammermusiksaal erleben: Annett und Beate, an Schlagzeug und E-Piano abwechselnd und zweistimmig ihre munteren Texte zu ihrer nicht nur fetzigen, sondern höchst originellen Musik singend - wobei auch Hugo sein musikalisches Plätzchen findet.

Schon das Intro führt in eine besondere Soundwelt. Schlagzeug und der fast schon archaisch wirkende Klang des E-Pianos locken scheinbar in die Welt der 70er, irgendwo zwischen "Kojak" und "Fritz the Cat". Aber was sich da in den Songs herausschält, ist eine muntere Mischung aus Funk, Swing und Jazz, worin auch manch tanzendes Tastensolo seinen Auftritt hat: Musik und Texte eben, die in keine Schublade passen. So wundern sich Annett und Beate auch ein wenig amüsiert, dass sie in der Weltmusik-Reihe auftreten. Aber auch da haben die beiden super-sympathischen und extra-erfrischenden Musikerinnen das Passende auf Lager: "Cous Cous". Das ist nicht nur ein nordafrikanisches Gericht, sondern klangtechnisch auch ein Kuss. Mit Händereiben und Knutschgeräuschen startet das Stück. "Küssen tut so gut", heißt das Credo. Da darf auch das Publikum seine Sprachkenntnisse einbringen, wenn es darum geht, was "Küssen" auf Russisch, Spanisch oder Schwedisch heißt. Da schlagen sich die Solinger ganz wacker. Aber letztlich geht es nur um eines, das wirklich wichtig ist: "Küssen für den Weltfrieden."

Frech und charmant und mit sprühender Lebensfreude präsentieren "Hand in Hand" ihre doppelbödigen Texte mit der passenden Musik. Statt in der Reihe Weltmusik könnten sie locker in der Reihe Kleinkunst glänzen. Da passt auch der Ausflug ins indisch-mantrische in beide Kategorien. "Da lang gehen. Da lang gehen. Wo lang? Wo lang? Da lang gehen." Wunderbar schnell gesungen von Annett Lipske wird das nicht nur zur Zungenbrecherübung, sondern zur Klanggrundlage für die musikalischen Kommentare von Beate Wein. Beide sind auch virtuos in der feinen Ironie. Dafür spricht nicht nur ein Titel wie "Mehrzweckhallenmissnutzung". Oder wenn die Rundfunksendung "Funkhaus Europa" ihr Fett für den "Obertonweltmusikgesang" weg bekommt. Aber die beiden Musikerinnen finden auch stets ins Lyrische zurück. In cooler Jazzmanier streicht der Besen über das Becken, und es wird das Loblied auf den Schaukelstuhl angestimmt. Der allerdings stammt genauso wie Hugo vom Potsdamer Sperrmüll. Viel Applaus gibt es für zwei Stunden zündende Musik, muntere Texte und zwei quirlige Energiebündel - inklusive Botschaft: "Ich will nicht dumm aus der Wäsche gucken, sondern über den Tellerrand."

(RP)
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