Solingen Wenn das Spiel am Automaten zur Sucht wird

Solingen · Rund zwei Jahre spielte der Solinger exzessiv, machte 20.000 Euro Schulden. Hilfe fand er bei der Spielerberatung der Caritas.

 Gabriele Kirchner (l.) und Claudia Stratmann-Pickartz von der Suchthilfe der Caritas.

Gabriele Kirchner (l.) und Claudia Stratmann-Pickartz von der Suchthilfe der Caritas.

Foto: Köhlen

Es ist erst einmal nur eine Zahl: Rund 17 Millionen Euro betrug der Kasseninhalt von Spielautomaten in Spielhallen und Gastronomie in Solingen im Jahr 2014. Es ist eine Zahl, hinter der jedoch weit mehr steht als Münzen, die in blinkende Spielautomaten geworfen werden. Zum Beispiel die Geschichte des Mannes, der an einem Nachmittag in diesem Spätsommer an dem großen Tisch im Besprechungszimmer im Caritaszentrum an der Ohligser Ahrstraße sitzt.

Als ihm an Heiligabend 2011 bewusst wird, dass das Spielen längst zur Sucht geworden ist, hat er bereits 20.000 Euro Schulden angehäuft und ein Gerüst aus Lügen aufgebaut. "Ich war an diesem Tag zum Weihnachten feiern eingeladen, doch mein Geld war komplett verspielt. Da habe ich gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann", erinnert sich der 42-Jährige.

Das Spielen, es war immer in seinem Leben: Schon als Kind nahm ihn der Vater mit in die Spielhalle, auf seinen eigenen Wunsch, sagt der Mann, immer mal wieder geht er in den Jahrzehnten danach selbst spielen, "einfach aus Spaß." Als sein Leben 2009 über ihm zusammenbricht - als lange verdrängte Traumata aus der Kindheit hervorbrechen - wird aus dem Spaß ernst, aus der Spielhalle der vermeintliche Rettungsanker, der ihn doch nur tiefer hinab zieht: Zwei Jahre ist er mehr in der Spielhalle als Zuhause, zockt die Nächte durch und geht am Morgen arbeiten, telefoniert noch während der Arbeitszeit rum, um Geld zu organisieren.

Manchmal hat er im Halbstundenrhythmus am Geldautomat in der Spielhalle neues Geld gezogen. In der ersten Zeit weiß niemand davon. Und als seine Familie dahinter kommt und beginnt, seine Kontoauszüge zu kontrollieren, fängt er an zu lügen. "Ich konnte nicht klar denken. In dem Moment, wo ich gespielt habe, war mir alles egal." Das Spielen, sagt er heute, habe ihm die Anspannung genommen, ihm Ruhe gegeben, ihn vergessen lassen. "Und natürlich geht man immer mit dem Gedanken hin: Heute gewinne ich." Dieses Heute kam nie: Zwar habe er mehrere Male gewonnen, das Geld sei aber direkt wieder im Automaten verschwunden "Irgendwann habe ich gelesen, dass jedes Spiel nur drei Sekunden dauert", sagt der Mann heute und schüttelt ungläubig den Kopf. Seit zwei Jahren spielt er nicht mehr, fährt an Spielhallen vorbei, kann die Automaten ignorieren. Er hat eine Therapie gemacht, sich Hilfe gesucht bei der Spielerberatung der Caritas, die seit 2011 an der Goerdelerstraße ansässig war und seit rund einem Jahr im Caritaszentrum sitzt. Vor rund zwei Monaten erleidet er einen Rückfall, spielt einmal, meldet sich danach direkt bei der Beratung. In der Spielergruppe hat er Menschen gefunden, die das gleiche Schicksal teilen, sagt er. In Einzel-, Gruppen-, Paar- oder Familiengesprächen finden pathologische Glücksspieler dort genauso Unterstützung wie ihre Angehörigen. In Kooperation mit dem TSV Aufderhöhe bietet ein Sportangebot außerdem eine Alternative zur Spielhalle. "Die Menschen kommen in der Regel zu uns, wenn ein Leidensdruck entstanden ist, wenn die Miete nicht bezahlt werden kann, der Strom abgestellt werden soll", sagt Gabriele Kirchner, Leiterin der Suchthilfe beim Caritasverband Wuppertal/Solingen.

Auf einen Suchtkranken, sagt Claudia Stratmann-Pickartz, Beraterin in der Spielerberatung, kämen in der Regel drei Mitbetroffene. "Deshalb ist auch die Unterstützung der Angehörigen sehr wichtig. Gerade Kinder suchtbetroffener Eltern haben ein viel größeres Risiko, selbst abhängig zu werden." Derzeit kommen sechs Teilnehmer regelmäßig zum Treffen der Spielergruppe. Menschen jeden Alters und aus allen Schichten - und eine zunehmende Anzahl von Frauen. "Die meisten Spieler sind Automatenspieler", weiß Gabriele Kirchner.

Wie auch Claudia Stratmann-Pickartz blickt sie mit Besorgnis auf die Entwicklungen in den Spielhallen: Von 2012 bis 2014 ist die Anzahl der Spielautomaten in Solingen von 487 auf 748 gestiegen. "2013 und 2014 sind so viele Konzessionen für Spielautomaten ausgegeben worden. Die Gefahr wird maßlos unterschätzt. Wir sprechen hier von unglaublichen Summen, die erzielt werden, dies wird auf den Schultern derjenigen ausgetragen, die eine Abhängigkeit entwickeln", so Kirchner.

Der Mann weiß, dass der Gedanke an das Spielen immer bleiben wird. "Man muss einfach stärker sein", sagt er. Und man muss sich selbst kennen: Als ein Teil seiner Familie kürzlich im Urlaub war, hat er seine Geldkarten seinem Cousin gegeben. "Einfach als Vorsichtsmaßnahme. Bei Bedarf konnte ich immer Geld holen, konnte es mir jedoch selbst einteilen und die Wertschätzung des Geldes wieder gewinnen."

(mxh)
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