Peter Horn "Wir wollen die Stimme der Armen sein"

Solingen · Peter Horn ist neuer Vorsitzender des Stadtverbands des Deutschen Gewerkschaftbundes in Solingen. In dieser Funktion will Horn unter anderem mehr mit Jugendlichen ins Gespräch kommen und fordert zudem eine zweite Armutsstudie.

Mit 39 Jahren sind Sie deutlich jünger als ihre Vorgänger im Amt. Wie kam es zu Ihrer Wahl?

Horn Mein Vorgänger Eckehard Vogt hat sich aus privaten Gründen zurückgezogen. Ich bin wie einige andere mögliche Nachfolger gefragt worden. Am 20. September war das Votum dann einstimmig.

Warum haben Sie das Ehrenamt angenommen?

Horn Weil ich davon überzeugt bin, dass ich viele Ideen einbringen kann und Lust darauf habe. Das liegt auch ein bisschen in der Familie. Mein Vater war schon IG-Metaller, und mein Bruder ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Hywema. Ich bin 1996 bei Verdi eingetreten, als ich meine Ausbildung bei der Stadt begonnen habe. In der Familie sind wir alle sozial engagiert und überzeugt, dass man als Gruppe ganz anders agieren und seine Vorstellungen durchsetzen kann.

Bei Tuifly hat sich gerade gezeigt, dass ich einen Arbeitskampf ohne Gewerkschaft führen kann, wenn ich als Gruppe nur genug gelbe Scheine abgebe, also Krankmeldungen.

Horn Das mag bei Flugzeugen funktionieren, aber in einer Stadtverwaltung funktioniert das nicht. Die gemeinsame Solidarität bei organisierten Streiks ist viel stärker, als es derartige Einzelaktionen sind. Und Arbeitskämpfe sind ja nicht alles: Gewerkschaften können beim Tagesgeschäft Nutzen bringen. Das Gegeneinander von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt es so ja gar nicht. Wir wollen mitgestalten. Es gibt so viele Chancen. Je früher wir im Boot sind, desto besser. Auch der Schlosser, der das Fließband repariert, hat ein enormes Wissen. Wir sind so etwas wie das Immunsystem eines Unternehmens, weil wir Missstände frühzeitig erkennen können.

Und welchen Nutzen hat die Dachorganisation für mich als Gewerkschafter?

Horn Wir versuchen die Interessen der Einzelgewerkschaften zu koordinieren und zu vertreten. Unsere Aufgabe als Dachverband ist die Lobbyarbeit. Das schließt aber auch ein, dass wir uns als Stimme für die Armen in Solingen verstehen. Wir setzen uns beispielsweise für eine zweite Armutsstudie ein.

In Solingen hatte der DGB eine große Vergangenheit. Heute gibt es im ehemaligen Gewerkschaftshaus an der Kölner Straße ein "WillkommenCenter" für Flüchtlinge. Der letzte hauptamtliche Regionsvorsitzende wurde vor Jahren in die Frühverrentung geschickt. Wie sieht denn die Zukunft aus?

Horn Die Klingenstadt hat tatsächlich eine lange Geschichte der Arbeiterbewegung. Die ersten Streiks - von Schleifern - gab es hier. Was das DGB-Haus angeht: Unser Wunsch ist schon, dass wir wieder ein zentrales Gebäude finden, das wirklich ein Treffpunkt ist. Man kann es sich ja mit anderen Organisationen teilen. Da werden wir Gespräche führen müssen. Dass der DGB weiter in Solingen präsent ist, sehe ich als besonderen Erfolg. Der Umstrukturierungsprozess vom Haupt- zum Ehrenamt war nicht einfach, wurde aber mit der Hilfe vieler geschafft. Die hauptamtlichen Mitarbeiter in Düsseldorf planen Aktionen und stellen Material zur Verfügung.

Ist es eigentlich noch zeitgemäß, den Tag der Arbeit zu feiern? An Umzug und der Kundgebung scheinen sich immer weniger Menschen zu beteiligen.

Horn Natürlich wird es wieder einen Tag der Arbeit geben. Zum einen lieben viele die Tradition: Unsere Väter haben die 39-Stunden-Woche erkämpft. Darauf darf man stolz sein. Zum anderen sind wir offen für jede Idee. Die werde ich auch gerne im Jugendstadtrat und in den Schulen sammeln. Wir haben die Bühne; wenn jemand sie nutzen möchte, kann er sich gerne bei uns melden. Durch solche Veranstaltungen kann man auch Druck aufbauen. Wir sind der Stadtverband, und wir wollen etwas für Solingen bewegen, wollen die Stadt für alle Bürger lebenswerter machen.

Sie sind freigestellter Personalrat bei der Stadtverwaltung. Was brennt den Mitarbeitern im Rathaus auf den Nägeln?

Horn Wir machen uns unter anderem Gedanken über E-Government und die sogenannte Dunkelverarbeitung, automatisierte Prozesse, wie sie schon bei Krankenkassen gang und gäbe sind. Noch ist das Problem nicht da, noch können wir mitgestalten und verhindern, dass Mitarbeiter ständig vor dem PC-Monitor sitzen. In der Industrie gibt es mit "Arbeit 4.0" vergleichbare Umwälzungen: Manche reden von der vierten Revolution, was die Arbeitswelt angeht.

Wo werden Sie als neuer DGB-Chef in Solingen Schwerpunkte ihrer Arbeit setzen?

Horn Wir wollen sichtbarer, deutlich vernehmbarer und jünger werden. Das heißt, dass wir etwa Vorträge in Schulen verlagern möchten, um mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen. Wir werden auch die Zusammenarbeit mit Kirchenverbänden stärken. Wir können und wollen die soziale Ungleichheit nicht abschaffen, möchten die Welt aber ein Stück gerechter machen. Arbeit muss sich lohnen. In der neuen Armutsstudie soll es nicht nur um nackte Zahlen, sondern auch um Einzelschicksale gehen. Und vielleicht kann man diese Studie auch gleich um eine Reichtumsstudie erweitern.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE FRED-LOTHAR MELCHIOR.

(flm)
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