Solingen Wortakrobatik in Wohnzimmer-Atmosphäre

Solingen · Gebannt hängen die Zuhörer dem einen an den Lippen, der in der Mitte des kleinen Konzertsaales vor einem Oma-Sessel am Mikrofon steht und ein Wortfeuerwerk abfeuert. Es ist Benjamin Poliak, der beim ersten Solinger "Wohnzimmer-Slam" für wahre Begeisterungsstürme sorgt.

In seinem Text wirft der Poetry-Slammer aus Essen einen Blick auf sein bisheriges Leben und führt es dann fort bis zum Ende. Immer wieder tauchen die "weißen Socken" auf, die sich als roter Faden durch den dichten und ehrlichen Text ziehen. Von der Geburt an zeichnet Benjamin die Befindlichkeiten eines Heranwachsenden, die sich verändernde Sicht auf sich und die Welt unglaublich detailreich und eindrücklich nach, was er zusätzlich auch noch ohne einen Verhaspler oder auch nur ein winziges Stocken vorzutragen weiß.

Tiefgehende Texte mit gesellschaftspolitischen Botschaften waren zu hören, wie der von Aylin Celik, der sich an die hoffnungslosen Sexisten richtete, die sie mit der Formel "Fäuste runter, Münder zu, Gedanken aus" zu hypnotisieren versuchte. Lena Löffeler aus Düsseldorf hat ihren Text "Ferngesteuerte Menschmaschinen" in der Bahn geschrieben und damit ein Bild des modernen, entmenschlichten Menschen gezeichnet, der auf der Jagd von Termin zu Termin ist, und bei der Suche nach Geld und Zeit sein Herz verliert.

Tief unter die Haut ging der Vortrag des Wuppertaler Wortpiraten André Wiesler, der das Sterben eines Kindes thematisierte. "Roland war 13, als er Krebs bekam. Das war total cool", beginnt der aus der Sicht des Kumpels geschriebene Text, der auf humorvolle, aber auch tragische Weise das Geschehen verfolgt.

Andrés Wortpiraten-Kollege David Grashoff sorgte mit seinem satirischen "Der beste Papa der Welt" für eine Lachsalve nach der anderen. Überspitzt und bitterböse erzählte er von seinem Leben als Vater, der sich zuweilen die Frage stellt, ob er seine vier- und elfjährigen Kinder vielleicht doch noch durch die Babyklappe bekommt und der die drei magischen Worte kennt, die jeder Vater wissen sollte: "Frag deine Mutter".

Zum Lachen brachte auch Falko Ziemann aus Wuppertal das Publikum im voll besetzten Saal. Sein Text "A46 Amazonen" beginnt von der A46 zu erzählen, die keine Autobahn, sondern ein Kampfplatz ist, auf die man nicht auffährt, sondern ausrückt - und er endet in einer politischen Botschaft anhand der skurrilen Überspitzung des Statistikwahns.

Der erste "Wohnzimmer-Slam", den Miriam Karlstedt, Nora Töpel und Marijana Mitrovic - drei junge Frauen, die ihr Freiwilliges Soziales Jahr beim Kulturmanagement absolvieren - organisiert haben, war ein voller Erfolg. Die Veranstaltung lockte vor allem ein junges Publikum in den kleinen Konzertsaal - was zeigt, dass es sich auszahlt, wenn junge Menschen Kultur für junge Menschen machen.

(sue)
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