Solingen Zwischen Barock und Mittelerde

Solingen · Stühle schleppen: Kaum einen Sitzplatz gab es mehr beim Auftaktkonzert des Orgelsommers in der Klosterkirche.

Ein wunderlicher Wanderer zwischen den Welten: Als Johann Georg Albrechtsberger 1736 geboren wurde, hatte Johann Sebastian Bach gerade sein "Weihnachtsoratorium" fertig gestellt - sechs Meisterkantaten aus der Hochzeit des Barock. Als Albrechtsberger 1809 in Wien starb, war gleich um die Ecke die Tinte noch nass auf der Partitur von Ludwig van Beethovens 6. Symphonie, der "Pastoralen" - ein Werk, das schon weit in die Zeit der Romantik weist. Zwischen diesen Eckmarken liegen die Kompositionen von Albrechtsberger. Und wie die klingen, davon konnte man sich am Sonntagnachmittag in der Klosterkirche überzeugen. Denn mit Beginn der Sommerferien heißt es hoch über dem alten Marktplatz wieder: Gräfrather Orgelsommer.

Das Auftaktkonzert dieses kleinen, aber feinen Orgelfestivals war so gut besucht, dass die Helfer noch Stühle und Hocker in die Kirche schleppen mussten, um möglichst allen Besuchern einen Sitzplatz anbieten zu können. Aber es wurde musikalisch auch groß aufgefahren mit acht Musikern. Gast war die Camerata Greverodiensis - sozusagen ein Gräfrather Heimspiel. Neben Organisator und Regionalkantor Michael Schruff an der Orgel spielten dabei mit: Julia Reffgen (Orgel), Lara Lieske und Maximilian Kosel (Trompeten), Katharina Reffgen und Georg Reffgen (Violine und Viola), Julia Siepen (Querflöte) und Matthias Reffgen (Posaune).

Vierhändig an der Orgel erklangen zunächst Präludium und Fuge in C-Dur von Abrechtsberger. Michael Schruff und Julia Reffgen verstanden es bestens, diese besondere Musik auszuloten. Perlend und volltönend gestalteten sie das knappe Präludium und die ausladende und kunstvoll gewiefte Fuge. Hier verschmolzen barocker Formsinn und klassisches Harmoniedenken zu einer ganz besonderen Einheit. Ist Albrechtsbergers Leben schon eine Zeitreise, so war es das Konzert im Besonderen. Rund 300 Jahre Musikgeschichte wurden gekonnt in gut einer Stunde durchschritten.

Sanft und versponnen erklang Johann Pachelbels berühmter Kanon in D-Dur. Die aparte Besetzung mit Orgel, Flöte, Violine und Viola gab diesem Klassik-Evergreen eine ganz neue und luftige Note. Klare Durchhörbarkeit der Kontrapunktik stand im Vordergrund. Die Zeitreise endete bei Howard Shore und seiner Filmmusik zu "Herr der Ringe". Nach dem verträumten "In Dreams" mit Flöte und Orgel tauchten mit den Fanfaren der Blechbläser die Türme der weißen Stadt Minas Tirith vor den Ohren auf. Camerata und Orgel liefen hier geradezu zu einem orchestralen Hollywood-Sound auf. Man wähnte fast ein ganzes Orchester auf der Orgelempore. Ähnlich gestaltete sich das abschließende "The Throne Roome" des Filmmusik-Veteranen John Williams.

Dazwischen lag die ganze Welt des Barocks, der Klassik und der Romantik. Drei Sonaten beziehungsweise Sonatensätze von Telemann, Händel und de Boismortier führten in die bunte Vielfalt barocker Formen: das lustvoll wendige und virtuose Spiel der Posaune, die luftige Leichtigkeit der Violine und das festliche Dahinströmen reinen Blechbläserklangs. Fast zauberflötisch verspielt, gelang das Andante in C-Dur für Flöte und Orgel von Mozart. Mit einem ebenso zauberhaft gestalteten Satz für Streicher und Orgel wurde der Mozart-Zeitgenosse Carl Stamitz aus der Versenkung geholt. Nach einem durch die Register der historisch spannenden Orgel sausenden Allegros aus der B-Dur-Sonate von Mendelssohn rundete das Wiegenlied in F-Dur von Gabriel Fauré die romantische Abteilung ab: Entschwebend entfaltete sich die für den Franzosen so typisch zärtliche Melodik in der Flötenstimme über der schwingenden Orgelbegleitung. Das gelungene Auftaktkonzert macht gespannt auf das, was folgen wird.

(RP)
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