Tönisvorst Die Welt mit anderen Augen sehen

Tönisvorst · "Fernglück" heißt der Film von Grimme-Preisträger Shaheen Dill-Riaz. Er begleitet acht junge Menschen durch ihr Freiwilliges Soziales Jahr in Bangladesch. Eine der Protagonistinnen ist Rosa Stoll aus Tönisvorst.

 Der Grimme-Preisträger Shaheen Dill-Riaz zeigte seinen Film "Fernglück" im Forum Corneliusfeld.

Der Grimme-Preisträger Shaheen Dill-Riaz zeigte seinen Film "Fernglück" im Forum Corneliusfeld.

Foto: Wolfgang Kaiser

Viele Fragen sind geblieben und bei einigen Freiwilligen auch Unzufriedenheit darüber, dass sie nicht wirklich etwas ändern konnten an der Armut, den Umständen, der Ungerechtigkeit in Bangladesch. Acht junge Menschen sind im Sommer 2012 nach Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, gereist, um ein Jahr lang in dem südasiatischen Land zu leben und zu arbeiten. Begleitet wurden sie von Shaheen Dill-Riaz, einem mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Dokumentarfilmer, der seit 1992 in Deutschland lebt, aber aus Dhaka stammt.

Der Film "Fernglück", den Dill-Riaz gedreht hat, zeigte die Organisation "Netz - Partnerschaft für Entwicklung und Gerechtigkeit" jetzt im Forum Corneliusfeld. "Erstens sammelt das Michael-Ende-Gymnasium seit 15 Jahren Spenden für unsere Projekte in Bangladesch", erklärt Sven Wagner, Pressesprecher von Netz, "und zweitens ist Rosa Stoll Absolventin des Michael-Ende-Gymnasiums und eine der Protagonistinnen im Film."

Natürlich war die 22-Jährige bei der Filmvorführung in ihrer Heimatstadt anwesend, ebenso wie zwei weitere "Volunteers", die zur gleichen Zeit Freiwilligendienst in Bangladesch geleistet haben. Bei der Gesprächsrunde waren sich alle drei einig, dass sie jedem jungen Menschen ein Freiwilliges Soziales Jahr im Ausland empfehlen, auch wenn Einsamkeit und manchmal auch Unverständnis dazu gehören. "Ich finde es heute noch schwierig, dieses Land und seine Menschen zu verstehen", sagt Rosa Stoll, "viele Fragen sind unbeantwortet geblieben, aber ich würde es jederzeit wieder machen." Die Begegnung mit den Menschen sei wichtig, das Wahrnehmen der Andersartigkeit, der veränderte Blick auf das eigene Leben.

Dass hinterher nichts mehr so ist wie vor dem Auslandsaufenthalt, und dass es eine Weile dauert, zu Hause wieder anzukommen, war allen klar. "Seltsam ist nur, dass ich in Bangladesch oft die Ordnung und Ruhe vermisst habe", sagt Rosa Stoll, "und jetzt denke ich manchmal, ein bisschen bengalisches Chaos würde Deutschland guttun."

Und von diesem Chaos gibt es im Film reichlich zu sehen. Gleich die erste Szene erschlägt den Zuschauer. Scheinbar ohne jedes System quält sich der Verkehr durch Dhakar. Es wird gehupt und geschimpft. Der schon völlig überfüllte Bus, den die Deutschen nehmen wollen, hält nicht an einer Haltestelle. Wer mitfahren möchte, schlängelt sich zwischen die Autos, Mofas und Dreiräder und springt während der Fahrt auf. Viel mehr geschockt aber sind die Deutschen von der Armut in der Hauptstadt, die überall zu sehen ist.

Auf dem Land aber, wo die meisten Freiwilligen ihren Dienst in Schulen, bei Umweltprojekten oder in der Sozialarbeit verrichten, geht es friedlich und beschaulich zu. Hier werden Freundschaften geknüpft und hier erfahren die jungen Deutschen viel über das Leben der Menschen in Bangladesch und erzählen von ihrem Leben in Deutschland. Oft herrscht Unverständnis auf beiden Seiten. Dass eine Frau ihren Mann selbst aussucht, dass Ehen geschieden werden, dass es Familien mit Kindern gibt, obwohl die Eltern nicht verheiratet sind, das alles erscheint den Bengalen abstrus.

Und für die Deutschen ist es schwer zu verstehen, dass eine Frau die Zweitfrau ist und das Einkommen der gesamten Familie verdienen muss, dass Menschenrechtsorganisationen für die Todesstrafe sind, wenn es um Rache für die Nation geht, dass Polizisten das Volk nicht schützen, dass Arbeit nicht angemessen entlohnt wird. Filmemacher Shaheen Dill-Riaz kennt dieses Dilemma: "Ich lebe seit 23 Jahren in Deutschland, aber verstehen tu ich dieses Land manchmal immer noch nicht."

(WS03)
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