Tönisvorst Inklusion ist nicht immer der beste Weg

Tönisvorst · Seit 1972 hat das Heilpädagogische Zentrum (HPZ) seinen Sitz in Tönisvorst - und ist durch seine Lage am Stadtrand wenig präsent. In der Inklusions-Debatte wurden Werkstätten allgemein in Frage gestellt. Das HPZ nimmt es als Ansporn.

 Geschäftsführer des Heilpädagogischen Zentrums ist Dr. Michael Weber. Der 52-jährige Verwaltungswissenschaftler hat seit Mai 2008 sein Büro in der HPZ-Hauptverwaltung in Tönisvorst-Hochbend.

Geschäftsführer des Heilpädagogischen Zentrums ist Dr. Michael Weber. Der 52-jährige Verwaltungswissenschaftler hat seit Mai 2008 sein Büro in der HPZ-Hauptverwaltung in Tönisvorst-Hochbend.

Foto: WOLFGANG KAISER

Räumlich wie inhaltlich ist das Heilpädagogische Zentrum in Tönisvorst immer noch ein Randphänomen. Im Hochbend direkt an der Bahnlinie gelegen, befindet sich das HPZ im "Niemandsland" zwischen Kehn und Anrath. Auch wenn Bürgermeister Goßen und Wirtschaftsförderer Hergett das HPZ schon besucht haben, sind die Kontakte zwischen der Stadt Tönisvorst und dem heilpädagogischen Zentrum selten. Das ändert sich nur langsam, aber es ändert sich - wie der Ansturm beim Tag der offenen Tür im Teilneubau der HPZ-Kita im Mai zeigte.

Vor 50 Jahren bildete sich in Krefeld eine Arbeitsgemeinschaft für ein heilpädagogisches Zentrum. Die Eltern behinderter Kinder hatten das Ziel, einen Sonderkindergarten und später eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen zu errichten. Am 17. März 1967 wurde daraus eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Im Herbst 1970 konnte die heutige heilpädagogische Kindertagesstätte in Hochbend nach einem Umbau der 1908 gegründeten Walderholungsstätte Krefeld ihre Arbeit aufnehmen.

1972 wurde der Sitz der Gesellschaft Tönisvorst. Dort am Standort Hochbend wurde am 1. August 1977 die neue Werkstatt mit 280 Plätzen übernommen. Auch die Hauptverwaltung fand dort ihren Platz. Dass Tönisvorst Sitz des HPZ wurde, war dabei eher Zufall. Die Nähe zur Kita Hochbend und ein günstiges Grundstück gaben den Ausschlag.

Mit der Stadt Tönisvorst hat er wenig zu tun, räumt HPZ-Geschäftsführer Dr. Michael Weber ein. Dafür mehr mit der Stadt Krefeld und dem Kreis Viersen, hier sei die Zusammenarbeit gut. 350 von 500 Beschäftigten arbeiten im Hochbend. Die über 2000 behinderten Mitarbeiter verteilen sich auf neun Standorte. In St. Tönis und in Kempen gibt es Werkstätten speziell für psychisch Erkrankte. Das HPZ steht mit vielen Schulen in der Region im Kontakt, um die Kinder aus der HPZ-Kita einzuschulen oder Schulabgänger von Förderschulen im Berufsbildungsbereich unterzubringen. Dass die Stadt Tönisvorst jetzt den Gründungsbeauftragten der Sekundarschule zum Inklusionsbeauftragten gemacht hat, ist Dr. Weber neu. Ein fachlichen Austausch dazu gibt es nicht. Das Thema Inklusion sieht Weber durchaus kritisch, das HPZ mit seinen Werkstätten führt ja ein anderes Konzept, mit dem es aber 50 Jahre erfolgreich war. Für Weber ist die Inklusion, also die volle Teilhabe von Behinderten an allen Bereichen der Gesellschaft, also nicht nur der Schule, ein sehr stark politisiertes Konzept. Und er ist sich nicht sicher, ob die Entscheidungen im Land nicht nur positiv zu sehen seien, formuliert er vorsichtig. Er findet es gut, dass der Kreis Viersen eine gewisse Zahl von Förderschulen aufrechterhalten wolle. Unter welchen Bedingungen lernen behinderte Kinder besser? "Es ist nicht immer so, dass sie mit anderen zusammen besser lernen." In der Förderschule gelinge die soziale Integration oft besser als in der Regelschule. Im Schulbereich wäre man gut beraten, ein differenziertes Angebot vorzuhalten.

Ähnlich sei es um die Werkstätten bestellt. Sie sind eine Sondereinrichtung für Menschen, die keinen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt hätten. Die Anforderungen im ersten Arbeitsmarkt sind enorm hoch, für geistig und körperlich mehrfach behinderte Menschen kaum zu schaffen. 0,5 Prozent der Mitarbeiter, das sind zehn pro Jahr, schaffen den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt. Unternehmen in der Wirtschaft seien im Normalfall auf Exklusion angelegt. Das könne man nicht wegdiskutieren.

Nicht übergehen sollte man auch Auswirkungen von Werkstätten auf die regionale Wirtschaft. In der SROI (return of invest) Studie wurde nachgewiesen, dass von 100 investierten Euro rund 50 Prozent in die Gesellschaft zurückfließen (in Form von Sozialbeiträgen und Steuern). Durch das HPZ entstehen außerdem 370 weitere Arbeitsplätze außerhalb des HPZ. Die Arbeit, die in den Werkstätten für Unternehmen der Region geleistet wird, schafft Wertschöpfung vor Ort - statt Auslagerung in Billiglohnländer.

(RP)
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