Tönisvorst Mutiger Aufbruch in eine andere Welt

Tönisvorst · Die 15-jährige Teresa Döring, Schülerin des Michael-Ende-Gymnasiums, feierte Karneval im vergangenen Jahr in Brasilien. Die Tönisvorsterin wählte das südamerikanische Land als Ziel für ihr Austauschprogramm aus.

Letztes Jahr im November schickte ich ein Paket für Weihnachten ab. Ich wartete den ganzen Dezember und Januar bis in den Februar hinein, doch es kam keine Nachricht. Irgendwann habe ich mich damit abgefunden, dass es nicht in Brasilien ankommen würde.

Brasilien - warum ich vor über zwei Jahren auf die Idee kam, ausgerechnet dort ein halbes Jahr zu ver-bringen, weiß ich nicht mehr. Konkret wurden meine Pläne erst auf der Veranstaltung der Organisation TravelWorks in meiner Schule, und schon dort wurde mir gesagt, dass diese Idee sehr exotisch wäre. Die Sprache - Portugiesisch - wurde an meiner Schule nicht angeboten, die Gebräuche und das Klima waren konträr zu dem, das ich von hier kannte. Trotzdem war ich entschlossen, meine Pläne in die Tat umzusetzen.

Mit der Unterstützung meiner Eltern arbeitete ich alle Punkte einer sehr langen Liste ab, bevor ich überhaupt meine Gastfamilie kennenlernte. Anträge an die Schule zur Freistellung, Impfungen gegen regionale Krankheiten und eine seitenlange Bewerbung für TravelWorks. Ich fuhr drei Stunden nach Frankfurt und zurück, um bei der brasilianischen Botschaft das Visum zu beantragen - was dann fünf Minuten dauerte. Es gab ein Vorbereitungsseminar in Münster und viele Gespräche mit meinen Lehrern wegen der Wiederholung des verpassten Stoffes.

Doch nichts hätte mich auf all das vorbereiten können, was ich in Brasilien erlebt habe. Meine Eltern und kleinen Brüder in São Luís, Brasilien, (im Portugiesischen gibt es kein Wort für Gastfamilie, deshalb bin ich auch im Deutschen dazu übergegangen, sie nicht so zu nennen) wurden trotz einiger Schwie-rigkeiten und Streits zu meiner zweiten Familie.

Die Sprache - ich hatte vorher angefangen, sie mir selbst beizubringen - warf mich zu Anfang um, sodass ich kein Wort verstand. Doch dadurch, dass in meiner brasilianischen Familie nur meine Mutter Englisch sprach und in meiner Schulklasse von 30 Schülern vielleicht vier oder fünf, wurde mein Portugiesisch immer besser, was viele Barrieren verschwinden ließ.

In der Schule debattierten wir in Biologie darüber, ob die Evolution oder die Schöpfung aus der Bibel wahr seien (mehr als die Hälfte der Klasse war für die Schöpfung) und lasen Kafka auf Portugiesisch. Ein weiterer Meilenstein war ein Tripp ins Amazonasgebiet mit anderen Austauschschülern. Manaus, eine Stadt mitten im Regenwald, war so anders als das auf einer Insel liegende São Luis, und der Sonnenuntergang auf dem Amazonas vielleicht das Schönste, das ich je gesehen habe. Doch Brasilien hat auch andere Seiten: Meine Familie wollte nicht, dass ich zu Fuß gehe oder mit dem Bus fahre, da es zu gefährlich sei. Unser Hochhaus hatte zwar einen Pool und einen Fußballplatz, doch auch einen eigenen Wachdienst. Es war schwer, wenn meine Mutter dagegen war, dass ich länger wegblieb, und auch generell kaum selbstständig irgendwohin fahren zu können.

Erst, als ich wieder zurück war, habe ich gemerkt, wie viel der Tripp von mir gefordert hat. Auch danach. Als mein kleiner Bruder mich gefragt hat, ob ich nicht zu seinem 6. Geburtstag kommen könne, wusste ich, dass 9000 Kilometer zwischen uns liegen. Trotzdem - ich würde jedes Mal wieder gehen. Und wer weiß, vielleicht tue ich das ja auch. Irgendwann.

Vor ein paar Tagen hat mich meine Mutter angeschrieben. Dass jetzt mein Weihnachtspäckchen endlich angekommen ist. Und dass sie sich alle darauf freuen, dass ich wiederkomme.

(RP)
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