Viersen Auf Dämonensuche mit Domian

Viersen · Gleich an zwei Abenden in Folge hat der ehemalige Moderator in der Kulturfabrik aus seinem neuen Roman gelesen. Es geht um Einsamkeit, Zweifel und die Frage, ob man das Leben nicht einfach satt haben darf. Auch die Besucher sprachen über ihre Ängste

 Jürgen Domian liest in der Kulturfabrik aus seinem dritten Roman "Dämonen", eine Geschichte über die Stille und den Tod. Der Held Hansen hat vieles gemein mit dem 60-Jährigen, der zwei Jahrzehnte lang die Stimme des Mutes bei 1Live war. Nur an Suizid dachte Domian nie.

Jürgen Domian liest in der Kulturfabrik aus seinem dritten Roman "Dämonen", eine Geschichte über die Stille und den Tod. Der Held Hansen hat vieles gemein mit dem 60-Jährigen, der zwei Jahrzehnte lang die Stimme des Mutes bei 1Live war. Nur an Suizid dachte Domian nie.

Foto: Thomas Lammertz

Schon draußen am Zaun soll man sich ihnen stellen: den Dämonen. Mitarbeiter der Kulturfabrik verteilen am Eingang Flyer an die Gäste. Auf der Rückseite des kleinen Zettels will Jürgen Domian, einstiger Nachtwächter von 1Live wissen, womit die Krefelder tief in ihrem Inneren kämpfen. Sie werden dem 60-jährigen Moderator, so wird dieser Abend zeigen, intime Einblicke gewähren.

Die Gäste werden über ihre Ängste und Zweifel sprechen, sie werden berichten von Neid, von Sucht und von den großen und kleinen Sünden des Lebens. So wie es einst fast ganz Deutschland tat - Nacht für Nacht, zwei Jahrzehnte lang, im Telefon-Talk von Domian, der dem Format 2016 aus gesundheitlichen Gründen den Stecker gezogen hat. Aber als Mutmacher, als Fremder mit offenem Ohr, ist Domian heute eigentlich nicht hier. Er hat einen Roman geschrieben und will daraus lesen. Es ist neben einigen Sachbüchern bereits das dritte fiktive Werk und diesmal, so sagt er, steht einer dieser Menschen im Mittelpunkt, von denen Domian auch einigen in seiner Sendung begegnet ist.

In "Dämonen" erzählt der Moderator die Geschichte von Hansen - einem Mann, der sich selbst töten möchte. Einfach so. Es gibt dazu keinen bestimmten Anlass. Eher ist das Leben selbst der Anlass. Hansen ist ein gesunder Mensch - körperlich und psychisch. Ein Mensch, dem es ganz gut gehen sollte. Er hat Familie, Freunde, einen Job, gutes Einkommen. Aber er möchte sterben. Am 21. Dezember. Einsam und allein. Den Kältetod irgendwo im Norden Skandinaviens. Nackt und mit einer Flasche Whiskey in der Hand, ja, warum nicht? Das Sein ist sinnlos. "Wer tot ist, ist tot", heißt es in einer Leseprobe, die Domian im Schein der kleinen Schreibtischlampe auf der Bühne vorliest. "Ein Müllhaufen Atome." Teil davon zu sein, darin sieht der Antiheld Hansen gar kein Problem. Im Gegenteil: Für ihn ist es eine süße Verheißung. Doch am Ziel angekommen, in der kalten Stille von Lappland, fallen seine inneren Dämonen über Hansen her. Er zweifelt jetzt auch am Tod.

Was Domian in der Kulturfabrik serviert, liegt schwer im Magen. Wer den Tod sucht, der müsse doch irgendwie wieder an das Leben herangeführt werden. Schließlich ist das Existieren selbst doch der stärkste Trieb des Menschen. Oder etwa nicht? Es ist einer der Einwände, der von den Zuhörern in der Kulturfabrik im Gespräch nach der Lesung geäußert wird. Wie kann man sich vor dem Leben derart ekeln? Domian, der bei 1Live tausende Gespräche führte, oft auch über Tod und Suizid, der als Ehrenamtlicher das Zentrum für Palliativmedizin der Uniklinik Köln unterstützt, erzählt von den Menschen, die einfach nicht mehr wollen. "Bei den Alten und Kranken haben die meisten - nicht alle - für eine solche Einstellung noch Verständnis", sagt er und kritisiert die ablehnende Position der Kirchen zur Sterbehilfe. "Aber es gibt auch Fälle wie die von Hansen". Diese Anrufer, es waren für Domian mit die schwierigsten Gespräche seiner Karriere, wie er sagt. "Und einfach nur ein Gespräch kann manchmal schon viel helfen."

Den 21. Dezember hat der Moderator nicht zufällig als Todestag gewählt. Es ist der Geburtstag von Domian, der selbst regelmäßig nach Lappland reist und dort die Ruhe sucht. "Wie viel von Hansen ist Domian", fragt eine ältere Frau im Saal. Natürlich stecke da viel drin, genau wie die Werke von Thomas Mann nicht zu denken wären, hätte er seine Homosexualität ausleben können. "Ich habe aber noch nie daran gedacht, mich zu töten", sagt er.

Am Ende der knapp zweistündigen Lesung öffnet Domian eine Truhe. Dort liegen die aufgeschriebenen "Dämonen" der Krefelder. Jetzt kommt das Publikum zu Wort. Ein Mann spricht über schwere Depressionen, eine Frau berichtet von ihrer Essstörung. Und Domian? Der hört einfach zu, fragt nach und entlässt seine Gäste dann in die dunkle Nacht. So wie damals bei 1Live.

(atrie)
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