Viersen "Aussage gegen Aussage": Freispruch für Erzieherin

Viersen · Auch der Staatsanwalt hatte gefordert, die 33 Jahre alte Angeklagte vom Vorwurf der Nötigung freizusprechen

Dem Vorwurf der Nötigung von Kindern in zwei Fällen sah sich eine 33-jährige Erzieherin, die bis zum Mai in einer Elterninitativ-Kindertagesstätte in Niederkrüchten gearbeitet hatte, vor dem Amtsgericht Viersen ausgesetzt. Es ging darum, ob ein Kind in einem Stuhlkreis über einen Zeitraum stehen musste, und darum, ob sie einem anderen Kind den Kopf festgehalten und ihm eine Gabel an den Mund gepresst habe, um es zum Essen zu bringen.

Von beiden Vorwürfen sprach das Gericht die Frau jetzt frei. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten gleichermaßen in ihren Plädoyers eben diesen Freispruch gefordert. Im Fall des Stuhlkreises, so erläuterte der Staatsanwalt, habe sich durch die Beweisaufnahme herausgestellt, dass das Kind zwar kurze Zeit stehen musste - das hatte die Erzieherin auch eingeräumt - dass es aber weder um 45 Minuten ging, wie es kurz nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe kursiert hatte, noch um 15 Minuten, wie es noch in der Anklageschrift gestanden hatte, sondern um einen Zeitraum von deutlich unter zehn Minuten.

Außerdem, so führte der Staatsanwalt aus, habe es eine Vorgeschichte gegeben: Das Kind hatte mit dem Stuhl gekippelt, war mehrfach ermahnt worden, zuletzt mit der Ansage, wenn es dies nicht unterlassen würde, komme der Stuhl weg. "Als Strafrechtler ist mir egal, ob das erzieherisch gut ist", sagte der Staatsanwalt. Sicher sei, dass der Vorwurf der Nötigung nicht erfüllt sei. Denn Nötigung setze Verwerflichkeit voraus.

Dem schloss sich die Richterin in ihrer Urteilsbegründung an. Eine Erzieherin habe den Auftrag, in einem solchen Fall einzugreifen, sagte sie. Die Erzieherin habe Schaden verhindern wollen, den sich das Kind hätte zuziehen können, wenn es mit dem Stuhl umgefallen wäre, und sie habe es maßregeln wollen. "Ein Kindergarten ist dafür da, das Regelverhalten zu erlernen", erklärte die Richterin.

Im zweiten Fall, bei der Frage, ob ein Kind zum Essen gezwungen worden sei, stehe "Aussage gegen Aussage", erläuterte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Er vermöge nicht zu sagen, ob die Zeugin - eine Praktikantin, die in der Einrichtung tätig war - oder die Angeklagte die Wahrheit sage. Für die Richterin war auch dies eindeutiger. Nach dem Verhalten der jungen Zeugin habe sie Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Aussage. Sie habe während des Prozesses Teile ihrer Aussagen bei der Polizei relativiert, sich an Teile der Vorwürfe erst auf Nachfrage erinnern können, erläuterte die Richterin.

Die Erzieherin selbst hatte während des Prozesses von einem "Rachefeldzug" der jungen Frau gesprochen. Feststellen konnte das Gericht, dass die Praktikantin sich in der Einrichtung nicht wohlfühlte und in der Gruppe weder zu der später angeklagten Erzieherin noch zu deren Kollegin einen Draht fand. Das bestätigte auch eine Mit-Praktikantin, die ihrerseits angab, sich in der Kindertagesstätte wohlgefühlt und nichts Ungesetzliches bemerkt zu haben.

Der Verteidiger wandte sich nach seinem Plädoyer an die Vorstandsmitglieder der Elterninitiative. "Stellen Sie meiner Mandantin ein Zeugnis aus, damit sie sich bewerben kann", forderte er. Der 33-Jährigen war im Mai nach Bekanntwerden der Vorwürfe gekündigt worden. Seitdem ist sie arbeitslos.

(hah)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort