Viersen Der klassischen Zirkuskultur droht das Aus

Viersen · Wenn sich heute Abend an der Kanalstraße in Viersen der Manegenvorhang öffnet, erleben die Besucher eine vielfältige circensische Show. Hinter den Kulissen läuft dagegen der ganz normale Alltag der Artisten.

 Lucia mit ihrem Lieblingsdromedar "Romero". Außerdem hat die siebenjährige Artistin ein Faible für die Akrobatik.

Lucia mit ihrem Lieblingsdromedar "Romero". Außerdem hat die siebenjährige Artistin ein Faible für die Akrobatik.

Foto: Busch

In der Küche von Liane Weisheit-Köllner sieht es aus, wie in jeder Familienküche. Auf dem Herd kocht das Mittagessen, in der Obstschale liegen Äpfel und Bananen, am Kühlschrank haften beschriebene Merkzettel und an der Fensterscheibe klebt noch der Osterhase. Allerdings haben diese Küche sowie die weiteren angrenzenden Wohnräume Räder. Es handelt sich um einen geräumigen Wohnwagen und der ist das ständige Zuhause der Familie Köllner. Karl Altoff-Köllner ist nämlich der Chef vom gleichnamigen Zirkus und für die gesamte Familie sowie die weiteren Artisten und Mitarbeiter rollen in der Regel einmal in der Woche die Räder, umziehen ist angesagt.

"In größeren Städten wie Düsseldorf bleiben wir auch schon einmal drei Wochen. Aber meistens geht es früher wieder los. Das ist unser Leben", meint Liane Weisheit-Köllner. Ihr ältester Sohn Juliano wurde in Menden geboren, die große Tochter Viviana in Krefeld-Uerdingen, Nico in Esslingen im Schwabenland, Leroy in Karlsruhe und Lucia in Wolfen bei Bitterfeld. In den jeweiligen Mutterpässen von Weisheit-Köllner sind so die verschiedensten Arztstempel anzutreffen. Ultraschall und Vorsorge gab es da, wo der Zirkus gerade gastierte. "Wenn man plötzlich einen Arzt braucht, ist das schon mal schwierig. Wir kennen die Fragen bereits, die wir gestellt bekommen, wenn wir anrufen", meint die dynamische Frau, die schon die Vorbereitungen für die nächste Gaststadt trifft, während ihr Mann gerade ein "Tschüss" in den Wohnwagen gerufen hat, um Heu, Möhren und Kraftfutter einzukaufen. "Das Fleisch für unsere bengalischen Kleintiger führen wir im Kühlwagen mit, weil wir es in großen Menge brauchen und einen Engpass vermeiden wollen. Die Tiger fressen drei bis vier Kilogramm pro Tag. Für die Pferde, Lamas, Ziegen, Dromedare und Zebroiden, eine Kreuzung aus Zebras und Ponys, kaufen wir frisch ein. Ihr Futter bekommt man überall", erklärt Weisheit-Köllner. Ein Rundballen Heu reicht dabei für drei Tage. Das Wohl der insgesamt 30 Tiere liegt der gesamten Familie am Herzen, schließlich gehören die Vierbeiner zum Team.

Während die siebenjährige Lucia auf der Gymnastikmatte vor dem Wohnwagen trainiert, genießen die Tiger die Sonne in ihrem Außengehege. Die Katzen räkeln sich wie ihre kleinen Stubentigerkollegen in der Wärme. Daneben grasen die Lamas und Dromedare und einer der Friesenhengste galoppiert über die abgesteckte Weide. Das große Todesrad liegt noch vor dem Manegenrand und im beheiz- und kühlbare Zirkuszelt werden die letzten Stühle aufgestellt.

Noch ist es ruhig hinter den Kulissen, der Vorhang geht erst um 17 Uhr zum ersten Mal in Viersen auf. Die Familie Köllner führt schon in der siebten Generation einen Zirkus. "Man ist selber als Kind im Zirkus groß geworden. Dann kamen die eigenen Kinder, die ebenfalls in unserer Fußstapfen getreten sind, wobei jeder einzelne seine Passion gefunden hat", erzählt Weisheit-Köllner. Julianos Leidenschaft sind so die Tiger. Leroy und Viviana haben sich für die Jonglage entschieden und Nico arbeitet mit dem Todesrad. Lucia als Jüngste hat ein Faible für die Akrobatik und möchte sich in diesem Bereich Stück für Stück fortbilden.

Einfach sei es in der heutigen Zeit nicht, einen Zirkus zu betreiben, sinniert die Artistenfrau. Nichtsdestotrotz haben sich ihre Kinder für das weitere Leben im Zirkus entschieden. Allerdings ist das Kulturgut Zirkus, das es seit Jahrhunderten gibt, vom Aussterben bedroht. TV, PC, Konsolenspiele und Co fesseln die Menschen in den eigenen vier Wänden. "Ich habe einmal gesagt, dass es, solange es Kinder gibt, auch den Zirkus gibt. Aber das scheint heute nicht mehr der Fall zu sein. Es ist schade, aber die Menschen sind heute schwer für etwas zu begeistern. Und wir bieten wirklich ein ausgefeiltes Programm", sagt Weisheit-Köllner. Immerhin ist man kein Kleinzirkus, sondern ein solides Mittelunternehmen mit insgesamt 15 Artisten.

(tref)
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