Viersen Der Kriz-Protest hat uns erschüttert

Viersen · Guido Royé, Leiter von Schloss Dilborn, erklärt, welche Jugendlichen im Gladbacher Kriseninterventionszentrum betreut werden, welche Sorgen der Nachbarn in Wickrath unbegründet sind und sagt, wie die Suche nach einem Standort weitergeht.

 Guido Royé stellte in Wickrath die Pläne für ein Kriseninterventionszentrum (Kriz) vor und war über die Massivität der Reaktionen überrascht. Nun erwägt die Brüggener Einrichtung offenbar Alternativen.

Guido Royé stellte in Wickrath die Pläne für ein Kriseninterventionszentrum (Kriz) vor und war über die Massivität der Reaktionen überrascht. Nun erwägt die Brüggener Einrichtung offenbar Alternativen.

Foto: Detlef Ilgner

Herr Royé, der Neubau des Kriseninterventionszentrums (Kriz) in Wickrath stößt auf erbitterten Widerstand. Mehr als 600 Bürger protestierten lautstark auf Ihrer Infoveranstaltung. Wie haben Sie diesen Abend erlebt?

Guido Royé (zögernd) Diese Ausprägung fanden wir alle doch schon sehr bemerkenswert.

Inwiefern?

Royé Sehen Sie, uns war es ja kaum möglich, Informationen zu geben, obwohl dies der Sinn des Abends war. Die Dynamik der Menschen hat uns überrascht und erschüttert, ihre Ausdrucksform und die Massivität, mit der sie sich geäußert haben. Dieser Abend hat einen starken Eindruck bei uns hinterlassen. Man muss aber auch betonen, dass ein Drittel bis zwei Drittel der Menschen ruhig geblieben sind. Nicht alle haben uns angegriffen.

Wie beängstigend war die Situation für Sie?

Royé Ich fand die Situation zu keinem Zeitpunkt beängstigend. Aber die Art und Weise, wie die Menschen sich artikuliert haben, fanden wir bedenklich. Zum Beispiel, mit welcher Intensität der Investor persönlich angegriffen wurde. Natürlich war dies nicht die erste Veranstaltung, bei der wir auf Widerstand gestoßen sind. Aber so etwas haben wir lange nicht mehr erlebt.

Was sind das denn eigentlich für Kinder, die im Kriz leben?

Royé Vielleicht sogar Ihre Nachbarn (lacht). Nein, sie kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Wobei ich klarstellen muss, dass es sich nicht um Kinder handelt, sondern um Jugendliche, die sich in einer persönlichen Krise befinden, bei denen andere Hilfe nicht angeschlagen hat und die sich der Verantwortung entzogen haben. In allererster Linie sind es aber Jugendliche, die eine Gefahr für sich selbst darstellen.

Nennen Sie doch einmal ein Beispiel.

Royé Etwa junge Mädchen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie im Milieu landen. Jugendliche, die ihre medizinische Behandlung abgebrochen haben.

Aggressive und kriminelle Jugendliche?

Royé Wir sind, um es noch einmal klarzustellen, keine Jugendstrafvollzugsanstalt. Ja, wir haben auch eine geschlossene Abteilung. Aber die Jugendlichen werden nicht vom Strafrichter zu uns geschickt. Sie gelangen nur auf Antrag zu uns. Oft sind es die Personensorgeberechtigten selbst, die diesen Antrag stellen. Wir sind dafür da, diesen Jugendlichen wieder Perspektiven zu eröffnen. Man kann daher nicht sagen: Jeder, der im Kriz ist, verfügt über eine Liste von Vorstrafen. Das ist ein grundlegender Irrtum!

Aggressiv sind sie aber dennoch? Stellen sie eine Gefahr für die Nachbarschaft dar?

Royé Wenn sie aggressiv sind, sind sie es in erster Linie gegenüber sich selbst und unserer Einrichtung. So war es ja auch an der Kyffhäuserstraße, als wir dort begonnen haben. Ich habe an dem Informationsabend schon eingeräumt, dass wir dort in der Anfangsphase Probleme hatten. Diese Probleme waren allerdings keine Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen, sondern einige Feuerwehreinsätze. Wirklich gebrannt hat es allerdings nur einmal, ein kleiner Schwelbrand in einem Zimmer. Bei den sonstigen Einsätzen wurden schlicht die Feuermelder von den Jugendlichen manipuliert.

Noch immer heißt es, dass in Ihren Einrichtungen auch jugendliche Sexualstraftäter leben. Ist das ein Gerücht?

Royé Ja, das ist es. Diese Aussage ist definitiv falsch!

Was heißt eigentlich geschlossene Unterbringung? Die Jugendlichen dürfen doch zur Schule gehen, oder?

Royé Nicht alle. Nur diejenigen, bei denen unsere Pädagogen sich sicher sind, dass sie stabil sind. Diejenigen, die bewiesen haben, dass man ihnen vertrauen kann. Ansonsten werden sie in der Einrichtung unterrichtet. Manche Jugendliche fahren am Wochenende zu ihren Eltern. Bei allen allerdings ist der Tagesablauf so engmaschig geplant, dass kein Jugendlicher die Zeit hat, an öffentlichen Orten rumzuhängen. Auch dies wurde ja an dem Abend befürchtet.

Wie lange bleiben die Jugendlichen?

Royé Im Schnitt sechs bis acht Monate.

Was ist die Maximalbeeinträchtigung, die Bürger zu befürchten haben?

Royé Sie werden wahrnehmen, dass sie neben einer Jugendhilfeeinrichtung leben. Andere Beeinträchtigungen erwarte ich nicht.

Viele Menschen sagen: Gut, dass es so etwas gibt — nur bitte nicht neben meiner Haustüre! Verstehen Sie das?

Royé Dafür habe ich volles Verständnis. Viele Bürger haben ein Informationsdefizit, was Einrichtungen wie unsere betrifft. Nur muss man auch sehen, dass die Kriterien, die wir an einen Standort anlegen — gute Verkehrsanbindung, zentrale Lage, Geschäfte in der Nähe — sich natürlich von den rein subjektiven Kriterien unterschieden, die die Bürger vor Ort anlegen. Unser Ziel ist die Integration und Resozialisierung. Auf dem freien Feld ist dieses Ziel nicht zu erreichen.

Oder hinter hohem Stacheldrahtzaun im JHQ.

Royé Ich hoffe, dass es in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung so weit nie kommen wird. Wir handeln im gesellschaftlichen Auftrag und unter engen Rahmenbedingungen. Wir stehen somit für einen gesellschaftlichen Konsens. Würden wir ihn nicht erfüllen, gäbe es uns nicht mehr.

Wie wird es jetzt weitergehen? Machen Sie einen Rückzug oder ziehen Sie das Vorhaben jetzt erst recht durch, um keinen Präzedenzfall zu schaffen?

Royé Wir führen jetzt erst einmal Gespräche, sowohl intern als auch mit der Wickrather Bürgerinitiative. Wie viele Gespräche es werden oder wie lange sie dauern werden, kann ich Ihnen nicht sagen. Wir haben uns keinen Fixtermin für eine Entscheidung gesetzt. Wir müssen nachdenken. Wie schon gesagt, der Abend hat bei uns einen starken Eindruck hinterlassen. Wir werden mit allen einen offenen Dialog führen, die mit uns reden wollen.

Sie würden aber schon gerne mit Ihrer Einrichtung in Mönchengladbach bleiben?

Royé Ja, sicher. Die Zusammenarbeit mit den Behörden, der Polizei und der Politik hier ist sehr gut. Gerade deshalb können wir auch eine solch qualitativ hochwertige Arbeit machen.

Würden Sie sich von politischer Seite mehr Unterstützung wünschen?

Royé (nachdenklich) Die Vergangenheit hat eigentlich gezeigt, dass es nicht gut ist, ein solches Thema von der Fachebene in den politischen Raum zu tragen.

Falls Sie tatsächlich nach Wickrath ziehen sollten, haben Sie aufgrund der Erfahrungen bei der Informationsveranstaltung nicht auch ein bisschen Sorge um Ihre Jugendlichen?

Royé Solche Überlegungen sind zurzeit rein hypothetisch und spekulativ.

Wie erleben eigentlich die Jugendlichen im Kriz die aktuelle Debatte? Wissen sie von ihr?

Royé Die sind vollkommen irritiert und verstehen sie nicht. Ein Mädchen saß mit ihrem Betreuer beim Friseur und hörte dort im Radio von dem Informationsabend. Es war nachher vollkommen fertig — nach dem Motto: "Reden die wirklich über uns?" Sie können es schlicht nicht begreifen.

Fabian Eickstädt, Ralf Jüngermann, Gabi Peters und Inge Schnettler führten das Gespräch.

(RP)
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