Kreis Viersen Der Mindestlohn bereitet Bauern Sorgen

Kreis Viersen · Vor allem regionale Saisonprodukte wie Spargel und Erdbeeren könnten im EU-Wettbewerb verlieren. In Zukunft müssen die Verbraucher zwischen günstigem Importobst und teuren Regionalprodukten entscheiden.

 Hermann Ingenrieth, Inhaber des Genholter Hofes in Brüggen.

Hermann Ingenrieth, Inhaber des Genholter Hofes in Brüggen.

Foto: Busch, Franz-Heinrich sen. (bsen)

"Ich male kein Untergangsszenario. Aber ich verstehe nicht, dass der Tarifvertrag vom letzten Jahr vielleicht wirkungslos ist", sagt Hermann Ingenrieth, Inhaber des Genholter Hofes in Brüggen. Ingenrieth baut Spargel, Erdbeeren und Speisekartoffeln an und ist besonders auf die Saisonarbeiter aus Polen und Rumänien angewiesen. Für sie soll der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro, den das Bundeskabinett nun beschlossen hat, genauso gelten wie für die festangestellten Erntehelfer.

Die meisten Betriebe in der Region zahlen nach dem Tarifvertrag der Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), der seit dem 1. Juli 2013 gilt. Unqualifizierte Arbeitskräfte erhalten für eine Arbeitsstunde seither sieben Euro, ab Juli 2014 7,30 Euro. Erst Ende 2017 soll das Lohnniveau auf 8,50 Euro steigen.

"Das haben wir letztes Jahr gemeinsam mit der Arbeitnehmerseite unter dem Einfluss der aktuellen Diskussion so ausgehandelt", sagt Ingenrieth. Nach dem Beschluss der Großen Koalition soll der Mindestlohn jetzt schon ab dem 1. Januar 2015 gelten. "Wir können die höheren Lohnkosten nicht einfach auf den Preis umlegen", erklärt Ingenrieth.

Denn die Preise für seine frischen Saisonprodukte richteten sich nach dem Markt. Der Handel greife bei höheren Preisen auf die günstigeren Produkte aus dem europäischen Ausland zurück. Derzeit machten die Lohnkosten schon etwa 50 Prozent der gesamten Produktionskosten aus. "Für einige Betriebe wird es schwierig, sich in diesem Metier wirtschaftlich zu behaupten." Seinen Betrieb zählt er auch dazu. Es komme jedoch nicht in Frage, von einem aufs andere Jahr aus der Produktion auszusteigen. "Eine Spargelkultur steht acht bis neun Jahre auf dem Feld", erklärt der Spargelbauer. "Dementsprechend langfristig ist die Investition geplant." Bei einem kurzfristigen Ausstieg aus dem Spargelanbau drohen vielen Bauern also zusätzliche Verluste.

Auch in anderen Bereichen des Obst- und Gemüseanbaus sind die steigenden Kosten durch den Mindestlohn nicht ohne weiteres zu verkraften, meint Peter Muß vom Provinzialverband Rheinischer Obst- und Gemüsebauern. Denn anders als in der industriellen Landwirtschaft sind Obst- und Gemüsebauern auf Handarbeit angewiesen. Selbst wenn es gelinge, die Preise an die Verbraucher weiter zu geben, stelle sich zukünftig die Frage: Lieber ein Gemüse aus heimischen Anbau oder das Importprodukt?

Um die Lohnkosten aufzufangen, überlegt Gemüsebauer Mark Bonus aus Niederkrüchten-Overhetfeld, stärker in Maschinen zu investieren. "Doch die menschliche Hand kann man als Werkzeug nicht ersetzen", sagt er. Bonus baut Salat, Kohlsorten, Fenchel und Porree auf mehrern 100 Hektar an und beschäftigt über 100 Mitarbeiter. "Aber im Augenblick ist es noch zu früh, den Teufel an die Wand zu malen." Ein Aufschub, bis die Regelung des Tarifvertrags greife, sei nur zu erreichen, wenn die Bundesregierung den Vertrag für allgemeingültig erkläre, meint Muß. "Ein langsamer Übergang zu den 8,50 Euro ist sicher machbar."

Mit dieser Übergangsregelung wären auch die Vertreter der IG BAU zufrieden. Aber bis ein Tarifvertrag nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz für allgemeingültig erklärt werde, stünden viele Hürden im Weg, sagt Jörg Heinel von der IG BAU. Den Befürchtungen der Obst- und Gemüsebauern entgegnet er: "Wir sind nicht das erste Land, in dem der gesetzliche Mindestlohn eingeführt wird." Auch in Ländern, die von der Wirtschaftskraft mit Deutschland zu vergleichen seien, wie Luxemburg oder Frankreich, hätten Mindestlöhne nicht zu Massenentlassungen oder Betriebspleiten geführt.

(RP)
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