Serie Vor 450 Jahren Die Auswirkungen des Bildersturms

Viersen · Das "Wunderjahr" 1566 war auch für die Reformierten am Niederrhein ein besonderes Schlüsseljahr

 Die Reformierten des heutigen Westkreises gehörten zum Gebiet der Jülicher Provinzialsynode .

Die Reformierten des heutigen Westkreises gehörten zum Gebiet der Jülicher Provinzialsynode .

Foto: Karte aus August Grashof, Wie das Jülicher Land zum Evangelium kam, Viersen 1870

Kreis Viersen Es dauerte rund ein halbes Jahrhundert seit Luthers Thesenanschlag, bis auch am Niederrhein die evangelische Konfessionsbildung endgültige theologische und organisatorische Konturen annahm. Hier war überhaupt vieles anders verlaufen als etwa in den mitteldeutschen Territorien, wo die einmalige Entscheidung des jeweiligen Landesherrn klare konfessionelle Verhältnisse schuf (cuius regio, eius religio). Insbesondere Wilhelm V. der Herrscher über die Herzogtümer Kleve, Jülich und Berg hat über einen sehr langen Zeitraum eine unentschiedene und lavierende Religionspolitik betrieben. Das allgemeine reformationsgeschichtliche Schulbuchwissen ist auf den Niederrhein nur sehr bedingt anzuwenden. Ein wichtiges Merkmal der hiesigen Reformationsentwicklung ist die Hinwendung zu den strengen Lehren des Genfer Reformators Johann Calvins. Die "Reformierten", wie sie bald hießen, fanden viel Inspiration und Unterstützung aus der Pfalz und insbesondere aus den Niederlanden.

Dort sprachen die Zeitgenossen vom Jahr 1566 als von einem "Wunderjahr". Das freilich präsentierte auch die negative Seite, die wohl jeder geschichtliche Umbruch, wie ihn die Reformation darstellte, neben Fortschritten und Innovationen aufweist: den Bildersturm.

Im zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dem Auftreten calvinistischer Prediger kam es seit August 1566 in Flandern und von dort sich über die ganzen Niederlande ausbreitend zur Zerstörung zahlreicher Bildwerke in Kirchen und Kathedralen. Kunstwerke von großer Bedeutung fielen der Zerstörungswut zum Opfer.

Hinter diesen Aktionen standen neben theologischen Motiven auch soziale Anliegen und die Wut über die Unterdrückung der "Geusen", als die die Reformierten beschimpft wurden, durch die spanisch dominierte Obrigkeit.

In den sich etablierenden reformierten Gemeinden im heutigen Kreis Viersen (in Bracht, Breyell, Brüggen, Waldniel, Kaldenkirchen, Dülken, und Süchteln) blieb es nicht bei der bloßen Kenntnis dieser Ereignisse. Evangelische Prädikanten traten 1566 außerhalb von Venlo auf und stießen auf ein derart großes Interesse, dass sich nach einem Bericht des Brüggener Vogtes Joachim Hagk wohl 1000 Zuhörer um einen gewissen Leonard Gisbert Panhuysen sammelten - unter ihnen pikanterweise der Brüggener Amtmann Franz von Holtmoelen, der oberste Vertreter des Herzogs von Jülich im Amt Brüggen. Der Vogt ließ daraufhin Bewohner von Brüggen, Bracht, Kaldenkirchen, Breyell, Boisheim und Tegelen zusammenrufen, um sie zu verwarnen. Doch der Versuch, auf diese Weise die nichtkatholischen Lehren zurückzudrängen, musste angesichts der Haltung des Amtmanns erfolglos bleiben.

1567 kam es in Venlo zu bilderstürmerischen Ausschreitungen. Ob es damals auch auf dem Gebiet des heutigen Kreises Viersen zur Zerstörung von Bildwerken gekommen ist, wissen wir nicht. Über die Inhalte der hier propagierten Lehren erfährt man indessen, dass sie als ketzerisch und dem althergebrachten katholischen Glauben zuwider waren. In diesem Jahrzehnt bildete sich jedenfalls niederrheinweit die kirchliche Verfassung der theologisch Johann Calvin folgenden hiesigen Protestanten heraus. Der in den Niederlanden voll entbrannte Religionskrieg, die Entwicklung in Frankreich, der Einfluss aus der Pfalz und das viele Jahre von Zögern und Unentschlossenheit geprägte kirchenpolitische Handeln des Herzogs von Kleve-Jülich-Berg waren äußere begünstigende Faktoren. Evangelische Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden sind in großer Zahl an den Niederrhein gekommen. Wesel und Köln waren Schwerpunkte. Wesel wurde gar als das "gastfreundliche Wesel" bekannt ("Vesalia hospitalis"). Im Herzogtum Jülich organisierten sich fortan die Calvinisten oder Reformierten (weil sie sich nach Gottes Wort "reformiert" verstanden), wenn auch allerorten als Minderheit. Die örtlichen Einzelentwicklungen wurden gebündelt in einer Synodalverfassung, die von der "Classis" ( in etwa einem heutigen Kirchenkreis vergleichbar) über die Provinzialsynode zur Generalsynode reichte. Mit der Presbyterialverfassung wurde nicht minder straff und stringent das innere Gemeindeleben gestaltet. An der Spitze der Gemeinde stand dabei das Presbyterium oder Konsistorium mit dem "Diener des Wortes Gottes", also dem Prediger, den Ältesten und den Diakonen. Die reformierten Gemeinden des Amtes Brüggen gehörten zur III. oder Gladbacher Classis und zur Jülicher Provinzialsynode. Bis zum Ende des alten Reiches haben sie diese Organisation behalten.

(RP)
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