Viersen Die Gustloff weckte den Kreuzfahrt-Virus

Viersen · Im Sommer 1938 gehörte die Viersenerin Katharina Hoffmann zu den ersten Reisenden auf der Wilhelm Gustloff.

Dieser Moment, als Katharina Hoffmann, geborene Ernst, im Jahr 1938 die norwegischen Fjorde passiert, auf die Gletscherspitzen blickt und die grüne, satte Landschaft ringsum betrachtet. Dieser Moment könnte es gewesen sein, als sie mit dem Kreuzfahrt-Virus infiziert wurde. Damals steht Katharina Hoffmann an Bord der Wilhelm Gustloff. Eben jenes Schiff, dessen Namensgeber Nationalsozialist war und das der nationalsozialistischen Organisation "Kraft durch Freude" gehörte. Und jenes Schiff, das am 30. Januar 1945 von einem sowjetischen U-Boot versenkt wurde. Bei dem Unglück kamen schätzungsweise mehr als 9000 Menschen ums Leben.

Damals, im August 1938 und kurz nach ihrem 19. Geburtstag, ahnt die gebürtige Viersenerin von diesem Unglück nichts. Sie genießt die Aussicht auf die Fjorde, die sie später als "norwegische Märchenlandschaft" in ihrem Fotoalbum beschreibt. Gemeinsam mit ihren Eltern Gerhard und Katharina ist die 19-Jährige an Bord der Gustloff. Es ist ihre erste Kreuzfahrt. Viele weitere sollten nach diesem Erlebnis folgen. "Meine Mutter hat etwa zweimal im Jahr eine Kreuzfahrt gemacht", weiß Tochter Katharina Guse zu erzählen. Sogar zwei Weltreisen hat ihre Mutter unternommen und war dafür jeweils drei Monate mit einem Kreuzfahrtschiff auf See.

"Der Komfort der heutigen Schiffe ist natürlich nicht mit der Ausstattung der Wilhelm Gustloff zu vergleichen", sagt Guse und blättert durch das Fotoalbum, das ihr ihre Mutter von der Reise hinterlassen hat. Mit drei Frauen teilte sich Katharina Hoffmann eine Kabine auf der Gustloff. Die Toiletten waren auf dem Flur untergebracht, lediglich zwei Waschbecken gab es in der Kabine. "Meine Großeltern hatten eine separate Kabine", sagt Guse. Doch sonst erinnert bei der Fahrt der Gustloff gen Norwegen vieles an heutige Kreuzfahrten: Es gab ein Schwimmbecken an Bord der Gustloff, ebenso eine Turnhalle, eine Musik- und Theaterhalle und es wurden Kostümfeste veranstaltet, bei denen mottogerechte Kleidung gewünscht war. Auch das Ambiente im Speisesaal mit weißen Tischdecken, Blumen und einer Menu-Auswahl erinnert an heutige Kreuzfahrtschiffe, obgleich sie sich in Sachen Komfort, Angebotsvielfalt und vor allem in der Größe natürlich erheblich unterscheiden: Etwa 1466 Passagiere fanden auf der Gustloff Platz, rund 420 Besatzungsmitglieder sorgten für einen reibungslosen Ablauf an Bord. Zum Vergleich: Bis zu 5400 Passagiere finden Platz auf dem derzeit größten aller Meeresgiganten, der "Oasis of the Seas" der Reederei Royal Caribbean International. 2165 Mann stark ist die Crew an Bord.

Doch Katharina Hoffmann hat das Erlebte tief beeindruckt. "Meine Mutter hat auch mich mit dem Kreuzfahrt-Virus infiziert", sagt Katharina Guse. 1975 unternimmt die heute 74-Jährige gemeinsam mit ihrem Ehemann Otto, ihren Kindern und Oma Katharina Hoffmann sowie deren damaligen Ehemann wiederum ihre erste Kreuzfahrt in Richtung Marrakesch. "Danach hat es uns nicht mehr losgelassen", sagt Guse, die das Mittelmeer, Skandinavien, die Karibik und das Gebiet entlang des Panamakanals mit einem Kreuzfahrtschiff bereist hat.

Das wahre Kreuzfahrtschiff-Klischee hat - wenn auch unfreiwillig - ihre Mutter Katharina erfüllt: Nachdem ihr erster Ehemann nicht aus dem Krieg zurückkehrte und auch ihr zweiter Ehemann viel zu früh verstarb, lernte sie an Bord eines Schiffes ihren dritten Ehemann kennen. Selbstredend, dass das Paar später auch auf einem Schiff heiratete. "Es war ein russisches Schiff, auf dem meine Mutter geheiratet hat. Der Kapitän hat damals die Trauung vollzogen", sagt Guse.

(RP)
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