Niederkrüchten Die Qualen eines Kriegsfotografen

Niederkrüchten · Der aus Elmpt stammende Schriftsteller Willi Achten hat einen neuen Roman veröffentlicht: "Nichts bleibt" ist ein spannendes, berührendes, aber auch verstörendes Werk über Hass, Schuld, Sühne und Rache.

 Autor Willi Achten stammt aus Elmpt. Heute lebt der 59-Jährige mit seiner Familie in Vaals bei Aachen.

Autor Willi Achten stammt aus Elmpt. Heute lebt der 59-Jährige mit seiner Familie in Vaals bei Aachen.

Foto: Heike Lachmann

Franz Mathys ist Kriegsfotograf. Doch sein größter Erfolg wird gleichzeitig zu seinem Trauma. Sein erschütterndes Foto einer Steinigung in Somalia wird mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet. Mathys greift nicht ein, hilft nicht, bleibt passiver Beobachter - er macht seinen Job mit der Kamera. "Ich hatte lange mit dem Unheil paktiert. Bei jedem Foto, bei jedem gottverdammten Leid, von dem ich profitierte", sagt er. Darum zieht sich Mathys in seine niederrheinische Heimat zurück, auf einen abgeschiedenen Hof. Er kommt zur Ruhe, genießt die Zeit mit seinem Vater und seinem Sohn, beginnt eine Beziehung zu einer Frau.

Doch sein Glück wird jäh zerstört. Zwei junge Männer - perverse Sadisten, die Menschen und Tiere quälen und ihre Taten ins Internet stellen - schlagen seinen Vater brutal zusammen. Der Vater erleidet eine Hirnblutung, dämmert in einem Zustand zwischen Leben und Tod seinem Ende entgegen. Mathys kann damit ebenso wenig umgehen wie mit dem Verlust seines Sohnes, der nach einem Unfall zu seiner Mutter nach Genf zieht.

Rache wird nun zu Mathys' Lebensinhalt. Er will die Schläger vernichten, bereitet sich geistig und körperlich darauf vor. In den Allgäuer Alpen kommt es zum Finale, das allerdings weniger ein klassischer Showdown, sondern eher ein zäher Zermürbungskampf ist. Mathys bekommt seine Rache. Aber es bleibt offen, ob sie ihm seinen Frieden zurückgibt.

Willi Achten mutet dem Leser in seinem neuen Roman "Nichts bleibt" einiges zu. Er zeichnet das Psychogramm einer verletzten und verletzlichen Seele. Vordergründig ist das ein Krimi. Doch so leicht lässt sich dieser starke, sperrige Roman in keine Genre-Schublade packen. Achten verzichtet auf die üblichen Krimi-Tricks. Der Erzählfluss ist ruhig, mitunter fast bedächtig. Die Sprache ist nicht effekthascherisch, sondern klar und prägnant. Vieles hat lyrische Eleganz - zwar sieht sich Achten eher als Prosa-Autor, hat aber auch schon preisgekrönte Ausflüge in die Lyrik gewagt.

Auch formal bricht der Roman mit Konventionen: Konsequent verzichtet Achten auf An- und Abführungsstriche, um wörtliche Rede kenntlich zu machen. So verschwimmen die Grenzen zwischen Dialog und innerem Monolog. Auch deswegen entfaltet der Roman eine beklemmende Dichte und Intensität, die durch abrupte Zeit- und Szenenwechsel noch gesteigert wird. An einer Stelle schwelgt der Leser mit der Hauptfigur in einem niederrheinischen Wald-Idyll, um dann nahtlos in die Gräuel des bosnisch-serbischen Bürgerkriegs gerissen zu werden, wo Mathys als Fotograf tätig war.

Willi Achten sieht seinen neuen Roman auch als Reaktion auf die zunehmende Brutalisierung unserer Welt und unserer Gesellschaft - ob nun in Gestalt von Terroristen oder U-Bahn-Schlägern. "Wie entfesselt sich Böses im Menschen?", so lautet seine Kernfrage. Was Hass mit Menschen macht, zeigt sich am Beispiel Franz Mathys. Das ist ein Mensch, mit dem man sympathisieren möchte. Den man am Kragen packen und schütteln möchte, um ihm zu sagen: Halt ein! Doch wir erreichen ihn nicht. Das macht dieses Buch so aufwühlend.

(jo-s)
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