Brüggen/Nettetal Durch den verwunschenen Grenzwald

Brüggen/Nettetal · An Ostern wird's sonnig und bis zu 16 Grad warm. Wir laden Sie zu einem Osterspaziergang im Grenzland ein — die Strecke ist übrigens nominiert für den Preis "Schönster Wanderweg Deutschlands 2016"!

Literarisch hat Goethe in seiner Tragödie "Faust" dem Osterspaziergang ein Denkmal gesetzt. Der Gelehrte Heinrich Faust und sein Gehilfe Wagner mischen sich unters Volk, Faust hat gerade einen Selbstmordversuch hinter sich. Goethe selbst war übrigens ein leidenschaftlicher Spaziergänger in der Natur: "Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn."

Zweihundert Jahre später ist der Weg das Ziel, und der Spaziergang für viele Teil eines Projekts zur Stressbewältigung und der gesundheitlichen Vorsorge. "Manchen Leuten reicht es, wenn sie durch einen langen Flur mit Waldtapete und Geruch der Kiefernadeln eilen können", sagt Antonius Kiwall. Der auf die Restaurierung denkmalgeschützter Bauten spezialisierte Maurermeister aus Bracht ist ein "grüner Jäger". Er nutzt jede freie Minute, um durch den Wald zu streifen und die Natur zu beobachten. Er ist mehr Waldläufer als Jäger. Wer mit Kiwall durch den Wald geht, muss Zeit mitbringen und offen sein für neue Erfahrungen. Es geht nicht darum, "Kilometer zu machen", sondern eine Landschaft lesen zu lernen.

Ausgesucht haben wir den "Premium-Wanderweg Galgenvenn", den der Naturpark Schwalm-Nette im Rahmen der Naturparkschau "Wasser.Wander.Welt" im Grenzwald von Kaldenkirchen und Bracht ausgeschildert hat. Aktuell ist er nominiert als "Deutschlands schönster Wanderweg 2016".

Wir starten am Waldgasthaus Galgenvenn an der Knorrstraße in Kaldenkirchen und folgen auf 11,2 Kilometern einer mit "W2" gekennzeichneten Strecke. Man kann sie mit strammem Schritt in weniger als zwei Stunden bewältigen. Wir haben uns entschieden, wirklich spazieren zu gehen, durch den Wald zu bummeln.

Bewusst laufen wir gegen den Uhrzeigersinn - vorbei an den Mammutbäumen der Sequoiafarm, durch eine Allee mit Eichen und Flachskuhlen bis zum Hühnerkamp, wo sich vor uns eine offene Heidelandschaft ausbreitet. Man kann auf niederländischer Seite an der Maalbeekerhöhe eine Rast einlegen, aber wir gehen durch das niederländische Naturschutzgebiet Holtmühle und zur "Schlucht", wo sich am Rand der Abbruchkante ein wunderschöner Blick ins Tal der Maas bietet. Ein gewundener Pfad führt bis an den südlichen Scheitelpunkt der Strecke. Wer nun müde ist, kann einen Abstecher zum niederländischen Ausflugslokal "de Witte Steen" machen.

Uns führt der Weg führt an einer Sand- und Kiesgrube vorbei durch eine renaturierte Landschaft zum geheimnisvollsten und abwechslungsreichsten Abschnitt des Wanderweges. Die Heidemoore mit ihrer besonderen Pflanzen- und Tierwelt begleiten uns bis zum Ausgangspunkt der Wanderung am Galgenvenn. Hier heißt es unterwegs allerdings, sehr genau aufzupassen. An zwei Stellen fehlen Hinweisschilder, man muss sich auskennen oder gut orientieren können, um den Weg nicht zu verfehlen und in die Irre zu laufen.

Wir sehen sie nicht, aber sie sind da und beobachten uns aus sicherer Deckung: Wildschweine. Überall ist der Waldboden durchwühlt vom Schwarzwild. Es sucht Engerlinge, Käfer und die im zeitigen Frühjahr schon weich gewordenen Eicheln. Antonius Kiwall deutet auf den Wegrand. "Das ist die Wildschweinautobahn", sagt er. Was aussieht wie ein Trampelpfad, der in den Wald führt, ist der Wechsel der Wildschweine. Im weichen Boden des Weges liest Kiwall mühelos Spuren. "Hier ist eine Bache entlanggelaufen, sie hatte es nicht eilig", erklärt er.

Dicht daneben gibt es einen zweiten Abdruck. "Das war ein Reh, die Spur ist viel schmaler." Wir laufen ein Stück weiter, dann zeigt er auf eine frisch aufgewühlte Stelle am Weg und eine junge Buche daneben. "Der Fegeplatz eines Rehs. Der Bock scharrt mit den Vorderläufen die Erde auf und wetzt die Stangen, also das Gehörn, an der Buche, um den Bast abzustreifen, der sich im Winter gebildet hat." Die Rinde der Buche zeigt Abriebspuren. Ohne Kiwalls Hinweis hätte ich weder die "Autobahn" noch den "Fegeplatz" erkannt.

Er ist schon wieder anders beschäftigt. Zwischen dem Gesang von allerlei Waldvögeln hat er den Ruf eines Bussards ausgemacht. Wir schauen hoch und haben großes Glück. Direkt über uns kreisen gleich zwei Greifvögel. Ihre breiten Schwingen sind starr und steif wie ein Brett, geschickt nutzen die Bussarde den Wind über den Baumwipfeln für elegante Richtungsänderungen.

Vor uns liegt eine abgestorbene Birke im Wald. "Früher hätte man sie abgeräumt. Heute bleibt sie liegen und bietet Lebensraum für allerlei Käfer, den Specht und andere Tiere", erklärt Kiwall. Der Stamm ist von Schnabelhieben des Spechts übersät, an der Unterseite haben sich verschiedene Pilzarten gebildet. Gegenüber liegt im Moor eine umgestürzte Kiefer. Ihr Wurzelteller ragt hoch auf, darunter hat sich eine Wasserfläche gebildet, die auch Amphibien Lebensraum bietet. Die flach wurzelnden Kiefern kippen auf dem moorigen Untergrund gerne mal um.

Der Waldläufer hebt eine Vogelfeder auf. "Das war ein Bussard oder Habicht", sagt er und tippt zur Erklärung auf das Kielende. Greifvögel rupfen ihre Beute, während Marder oder Iltis und Fuchs die Federn an den Kielen abbeißen. Als wir an einem alten Holzstapel vorüberkommen, der schon sehr stark verwittert ist, erzählt Antonius Kiwall, dass sich darin Marder und Iltis gerne aufhalten.

Am Langen Venn sehen wir plötzlich Graugänse. Ein Tier brütet auf einer Insel, das andere verharrt bewegungslos auf dem Wasser und beobachtet uns aufmerksam. Zwei, drei weitere Paare fliegen mit lautem Geschnatter über unsere Köpfe hinweg. Darin mischt sich ein lautes, sehr scharfes Rufen, es klingt wie "Kraaa". Antonius Kiwall hat schon wieder das Fernglas vor den Augen. "Das ist ein Kolkrabe", sagt er. Der große Vogel überquert das Lange Venn und verschwindet am Himmel über dem Grenzwald. Er hat im Vorjahr in der Nähe gebrütet, erzählt Kiwall. Er hat das Paar und zwei Jungvögel beobachtet.

Direkt vor uns fliegen zwei Eichelhäher auf, die nach einigen Flügelschlägen ihre lauten Warnrufe ausstoßen. Die "Polizei des Waldes" informiert darüber, dass sich Menschen nähern. Immer wieder stoßen wir auf Spuren von Wildschweinen, einige sind noch sehr frisch. Den Grenzwald bevölkern hunderte dieser Tiere, die immer weiter in die Siedlungsflächen vordringen. Landschaftswächter Rolf Spitzkowsky, der früh am Morgen bereits drei Stunden unterwegs war, hatte uns bei der Begegnung erzählt, dass er drei Bachen gesehen hatte, aber noch ohne Frischlinge. Soweit sind die Wildschweine jetzt noch nicht.

Auch Rehwild sehen wir nicht. Falsch. Antonius Kiwall sieht es in weiter Ferne, aber ich nicht. Mit einer Schulterhöhe von etwa 50 Zentimetern sind die Tiere sehr klein. "Die Rehe haben den Stoffwechsel noch nicht abgeschlossen, das heißt, sie sind noch im Energiesparmodus des Winters", erklärt Kiwall.

Wir gehen vorbei an den schwarzmoorigen Wasserflächen der Sonsbeck. Obwohl wir uns im Naturschutzgebiet bewegen und den Weg nicht verlassen dürfen, gibt es viele Spuren von Menschen bis ans Ufer heran. "Leider ist das Wasser im Sommer eine Hundebadewanne. Für die Tier- und Pflanzenwelt hier ist das sehr schlecht. Es ist schade, dass manche Menschen keine Einsicht darin zeigen, dass Hunde angeleint werden müssen und im Naturschutzgebiet kein Weg verlassen werden darf", sagt Kiwall etwas bekümmert.

Wenig später haben wir das Galgenvenn wieder erreicht. Die Lücke in der Beschilderung zwischen Sonsbeck und Galgenvenn ist ärgerlich und führt Ortsfremde in die Irre. Möglicherweise hat jemand Schilder als Souvenir mitgenommen.

(RP)
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