Viersen Ein Nachtzug durch Süchtelns Geschichte
Viersen · Mit Friedhelm Rath vom Süchtelner Heimat- und Verschönerungsverein ging es auf Nachtwächtertour. Über 30 Besucher tauchten bei der Aktion im Rahmen von "Viersen blüht" in die Historie von Süchteln ein.
Die Dämmerung hat sich über den Lindenplatz gelegt. Der Mann mit der brennenden Laterne in der einen und der Hellebarde in der anderen Hand fällt da direkt auf. Mit seinem Dreispitz, der Joppe samt breitem Gürtel und dem Trinkhorn um den Hals scheint er aus einer anderen, längst vergangenen Zeit zu kommen. Um ihn herum haben sich mehr als 30 Personen eingefunden und harren der Dinge, die da kommen. "Ich entführe sie heute ins historische Süchteln, wobei es für mich eine Premiere ist. Es handelt sich um meine erste Nachtwächtertour", sagt Friedhelm Rath vom Süchtelner Heimat- und Verschönerungsverein, der in der Verkleidung des Nachtwächters steckt.
Auf dem Lindenplatz stehend, wo einst eine mächtige Linde stand, die dem Platz seinen Namen gab, führt Rath zunächst in die Zeit noch vor Christi Geburt zurück. "Hier lebten Kelten, die eine Göttin verehrten, die eine Heilerin von Krankheiten war. Supht, die Sucht oder Krankheit, und Heel die Heilerin, ergaben den Namen Suphtheel, woraus später Süchteln wurde. Das mit dem Namen ist wie Stille Post, wer weiß wie Süchteln in hundert Jahren heißt", meint Rath, was die Besucher schmunzeln lässt.
Die Zuhörer erfahren, dass Süchteln als Ort erstmalig 1116 in den Büchern erwähnt wurde und 1423 die Marktrechte erhielt. Schauriges kommt aus dem Jahr 1560, wo ein Warnschild mit einer abgehakten Hand und einem Schwert jeden die Strafe für Diebstahl auf den beiden Jahrmärkten und dem Wochenmarkt in Süchteln verdeutlichte.
Rath erinnert an die schönen alten Häuser, die noch bis 1969 den Lindenplatz zierten, in denen sich unter anderem ein altes Schustergeschäft und eine Milchbar befanden.
Begleitet vom Mondschein geht es vom Lindenplatz auf den Westwall. Ein kurzer Stopp dort, wo einst das Stadttor stand und die Straßenbahn fuhr. Rath berichtet darüber, dass Süchteln früher einen ellipsenförmigen Grundriss von Nord nach Süd hatte, von Wällen umgeben war und es sechs Rondelle zur Verteidigung gab.
Danach wird es ein bisschen unheimlich. Es geht nämlich in das schmale Giesejätzke, das etliche der Besucher nicht kennen.
"Hier bin ich noch nie entlang gewandert." Diese Aussage macht mehr als einmal die Runde. Die hochragenden Häusermauern rechts und links lassen nur wenig Platz, es ist düster und so mancher Besucher greift zur Taschenlampe seines Smartphones. Entlang der Königsburg, die einst Süchtelns gute Stube war, geht es über das Irmgardissträßchen erneut zum Westring. Rath erinnert an die Siep, die einst quer durch Süchteln floss und in die Niers mündete.
Auf Raths Frage, wer den wüsste, was es mit dem Stein des Anstoßes auf sich habe, tauschen die Besucher fragende Blicke untereinander. "Vielleicht hat es was mit dem holprigen Kopfsteinpflaster zu tun?", kommt der Vorschlag aus der Besuchermenge mit Blick auf das Kopfsteinpflaster der Kirchstraße, wo man inzwischen entlang wandert. Ein Kopfschütteln von Rath. Stattdessen bleibt er vor der Hausnummer 6 stehen. "Die Straßen und Toreinfahrten waren so eng, dass die Menschen an den Ecken der Einfahrten Steine auslegten, die verhindern sollten, dass die Karren ins Mauerwerk fuhren. Der Stein des Anstoßens", verrät der Nachtwächter und deutet auf die ehemalige Toreinfahrt, wo früher die besagten Steine lagen.
Die Geschichte vom Zuckerhütchen, wie die kleinste Glocke der katholischen Pfarrkirche genannt wird, der alte Friedhof an der Kirche, die Höhere-Töchter-Schule, die in Süchten zu Hause war, die Grundfläche des einstigen Rathauses, mitten in der Innenstadt, der Standort der Synagoge, die evangelische Kirche mit ihrem Notausgang, der große Brand von 1677, dem die Gebrandstraße ihren Namen verdankt - Rath weiß vieles und er lässt die Besucher in der einmaligen Stimmung des Abends daran teilhaben.