Schwalmtal Erinnerung an Hostert

Schwalmtal · Sie war Pflegeheim und Tötungsanstalt, Krankenhaus und Schule: die ehemalige Kent School in Waldniel. Das brach liegende Gelände fasziniert und schreckt gleichermaßen. Eine Besichtigungstour.

In der kleinen Kirche St. Mariae Himmelfahrt in Waldnieler Heide sitzen die Besucher dicht an dicht, um Peter Zöhren zu lauschen. Der pensionierte Lehrer kümmert sich um die Gedenkstätte in Hostert, betreut die Homepage. Groß ist die Neugier, wie die Gebäude wohl heute aussehen mögen, viele der Anwesenden waren seit Jahren nicht mehr dort. Die Kirche St. Mariae Himmelfahrt ist zum Einstieg gut gewählt, große Teile des Inventars der 1978 eingeweihten Kirche stammen aus der alten Anstaltskirche in Hostert, wie der Beichtstuhl, die Orgel, prächtig geschnitzte Halbreliefs aus dem Hochaltar, die Glocken. "In der alten Kirche sind viele aus Waldnieler Heide getauft oder getraut worden, mit zur Kommunion gegangen", sagt Zöhren, "insofern ist die alte Kirche für uns ein Stück Heimat."

Scherben und Kronkorken

Die Tour führt über die Gedenkstätte, die gut 50 Teilnehmer halten inne. Während des Krieges wurden 97 behinderte Kinder in Hostert getötet, mindestens 1044 Patienten in Lager transportiert und dort umgebracht. Eine Tafel erinnert an die "unschuldig Ermordeten, St. Josefsheim Hostert, 1939 - 1945". Die Stimmung ist gedrückt, langsam geht es durch das Tor auf die ehemalige Kinderfachabteilung zu, in der so viele Kinder starben.

Vorsichtig treten die Besucher über Scherben, die aus den Glastüren gebrochen sind, über ausgetretene Stufen. Von den Wänden blättert die Farbe, in vielen Fenstern fehlt das Glas. Heinrich Stefes geht die Treppe hinauf: "Ich muss mir doch mal den alten Proberaum ansehen, in dem unser Knabenchor immer geübt hat", sagt der Schwalmtaler. Seit 1935 sei er nicht mehr in dem Gebäude gewesen. "Den Knabenchor hatten die Franziskaner gegründet", erzählt der 88-Jährige. "Da waren auch behinderte Jungen bei. Ich erinnere mich an einen besonders, der hatte so eine schöne Sopranstimme."

In der alten Kirche, in der noch der hölzerne Umbau der Orgel auf der Empore steht, betrachtet Henriette Scharder (76) eingehend die bunten Bleiglasfenster. "Ab 1945 sind wir hier zur Schule gegangen, im alten Josefsheim", berichtet sie. "Die Besatzer waren in den Volksschulen Eicken und Hehler, und alle aus meiner Volksschule in Hehler gingen dann hier zur Schule." Was während des Krieges im Josefsheim passiert sei, habe sie damals nicht gewusst, "uns Kindern wurde doch nichts gesagt."

In der entweihten Kirche liegen Zigarettenkippen und Kronkorken auf dem Boden. Vielleicht von der letzten Party, die dort stattfand – Besitzer Elmar Janssen vermietet den Raum ab und zu. Henriette Scharders Tochter Martina Pesch kennt die Kirche noch aus ihrer Kindheit. Sie schüttelt nur den Kopf: "In meinem Geist sieht das alles noch aus wie früher."

(RP)
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