Niederkrüchten Gasteltern wurden zur zweiten Familie

Niederkrüchten · Als Elfjährige kam Jana über den Viersener Verein "Freunde von Kanew" das erste Mal zu Gertrud und Norbert Wilms. Heute ist die Ukrainerin 34 Jahre alt - noch immer ist ihre Freundschaft zu der Niederkrüchtener Familie tief.

 Norbert und Gertrud Wilms zeigen stolz Fotos von der Ukrainerin Jana, die 1992 als Elf-Jährige zu ihnen nach Niederkrüchten kam. Seitdem sind sie befreundet. Jetzt konnten sie sich über die Hochzeit ihres Gastkindes freuen.

Norbert und Gertrud Wilms zeigen stolz Fotos von der Ukrainerin Jana, die 1992 als Elf-Jährige zu ihnen nach Niederkrüchten kam. Seitdem sind sie befreundet. Jetzt konnten sie sich über die Hochzeit ihres Gastkindes freuen.

Foto: busch

"Das ist Jana. Sie hat jetzt Ende September geheiratet", sagt Gertrud Wilms lächelnd und nimmt ein gerahmtes Bild in die Hand, das eine glückliche junge Frau im Brautkleid und einen strahlenden Mann im blauen Anzug zeigt. Auf dem Tisch von Gertrud und Norbert Wilms türmen sich weitere gerahmte Bilder und Fotoalben. Sie spiegeln 23 Jahre einer ganz besonderen Freundschaft wieder: Diese begann damit, dass sich das Ehepaar aus Niederkrüchten 1992 entscheid, ein Kind aus Kanew bei sich aufzunehmen.

Die erste Begegnung mit Jana steht den Wilms noch ganz genau vor Augen. "Der Bus sollte um 17 Uhr in Viersen-Bockert ankommen. Wir standen mit vielen weiteren Gastfamilien und warteten, doch er kam nicht", erzählt Norbert Wilms. Nach Stunden erfuhr man, dass der Bus in Berlin ohne einen Tropfen Benzin stand und niemand Geld zum Tanken hatte. Mit nahezu zwölf Stunden Verspätung kam das desolat aussehende Fahrzeug dann mit 40 Kindern in Viersen an, wo die Eheleute ausgeharrt hatten. "Ein schmales, scheues und ängstliches elfjähriges Mädchen, das kein Wort Deutsch konnte und mit einem kleinen Reiseköfferchen da stand, wurde uns im Pfarrheim zugeteilt", sagt Gertrud Wilms. Es gab Zettel mit Zeichnungen, die in Deutsch und Ukrainisch beschriftet waren, um sich etwas austauschen zu können. Die ersten Verständigungen erfolgten mit Händen und Füßen sowie diesem Blatt Papier. Jana lernte Stück für Stück Deutsch und wuchs ihre Gastfamilie ans Herz. "Ich habe damals noch viel genäht und saß so manche Stunde für Jana an der Nähmaschine. Sie konnte gar nicht fassen, dass alles für sie war", berichtet die Niederkrüchtenerin. Der Abschied nach drei Wochen fiel beiden Seiten schwer.

Doch der Kontakt hielt und als ein Jahr später wieder Gastfamilien für Kinder aus Kanew gesucht wurden, meldeten sich die Niederkrüchtener sofort und fragten nach Jana. 1994 luden sie nicht nur Jana, sondern auch ihre Eltern und ihren Bruder ein. "Wir wollten die Familie gerne einmal kennenlernen", so das Paar. Bilder von gemeinsamen Mahlzeiten auf der Terrasse, vom Angeln, von Unternehmungen und sogar von der Hilfe beim Hausanbau, der damals stattfand, zeigen, wie gut sich die beiden Familien verstanden.

Jahr für Jahr kehrte Jana nach Niederkrüchten zurück. Viele Freunde der Eheleute Wilms spendeten für Jana und ihre Familie. "Als sich Janas Schulzeit dem Ende neigte, rief sie an und fragte, was sie machen sollte. Ich fragte zurück, was sie gerne machen würde und erfuhr von ihrem Wunsch, Lehrerin zu werden, was wegen der Kosten für das Studium jedoch nicht möglich war. Ich sagte nur zu ihr, sie solle abwarten", erzählt Norbert Wilms. Er verzichtete auf Geschenke zum 50. Geburtstag, das Paar wünschte sich Geld zur Silberhochzeit - und so kam fast das komplette Studiengeld zusammen. Fritz Meies, Vorsitzender der Freunde von Kanew, nahm es mit in die Ukraine, aber "nicht ohne uns zu fragen, ob wir wüssten, was wir tun", erinnert sich Norbert Wilms. Er und seine Frau betonten, dass sie Vertrauen in Jana und ihre Familie hätten. Und sie wurden nicht enttäuscht - Jana finanzierte sich damit ihr Studium in Deutsch und Englisch. Etwas, dass ihr sonst nicht möglich gewesen wäre. Heute ist sie Dozentin für Sprachen an der Uni - eine Chance, die sie ohne die Wilms' und deren Engagement sowie deren Einsatz, auch andere zu motivieren, nie gehabt hätte.

16 Mal war Jana inzwischen bei den Wilms, nicht gezählt die kurzen Besuche, wenn sie als Dolmetscherin Delegationen in den Kreis Viersen begleitete und nach Niederkrüchten kam. Ihren Mann Igor stellte Jana ihnen schon persönlich vor der Hochzeit vor. "Zur Feier waren wir auch eingeladen. Aber wir sind nicht geflogen. Von dem gesparten Geld haben wir ein besonders schönes Hochzeitsgeschenk gemacht", erzählen Gertrud und Norbert Wilms, die sich schon auf den nächsten Besuch von Jana freuen. "Uns ist es einfach wichtig, zu helfen wo es nötig ist und wir es können", begründen die beiden ihr Engagement, das noch weit über die Unterstützung für Jana hinausgeht.

(tref)
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