Bündnis 90/Die Grünen Haushaltsrede 2016 von Martina Maaßen

Viersen · An dieser Stelle veröffentlichen wir die Haushaltsreden 2016 aus dem Viersener Stadtrat in Gänze, im Folgenden der Beitrag von Martina Maaßen (Bündnis 90/Die Grünen).

 Martina Maaßen von den Grünen.

Martina Maaßen von den Grünen.

Foto: Die Grünen

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich muss hier heute zu einem Haushalt Stellung nehmen, der angesichts einer Neuverschuldung von mehr als 19 Millionen EUR wohl alles andere als einen Gestaltungsspielraum aufweist, ein Gestaltungsspielraum, der bitter nötig wäre, um all die vielen und wichtigen Baustellen im sozialen, ökologischen, städtebaulichen und verkehrspolitischem Bereich sinnvoll, wirksam und nachhaltig abzuarbeiten.

Andererseits kann auf diese Haushaltsrede nicht einfach verzichtet werden. Ich möchte sie heute also dazu nutzen, Themen anzusprechen, die uns alle bewegen, und solche, die insbesondere uns GRÜNE bewegen.

Meine Damen und Herren, aus meiner Sicht muss im politischen Raum intensiv darüber debattiert werden, ob die sog. "schwarze Null" auf Bundesebene sowie die Schuldenbremse auf Landes- und kommunaler Ebene wirklich so erstrebenswerte Ziele sind, als die sie immer wieder dargestellt werden, oder ob diese Maßnehmen, oder richtiger: diese finanzpolitische Doktrin, nicht eher dazu führen muss, dass sinnvolles und zukunftsweisendes Handeln nachhaltig behindert, wenn nicht sogar im Keim erstickt wird, sodass am Ende eine gesellschaftliche Weiterentwicklung gar nicht mehr durchführbar ist.

Nehmen wir die aktuelle Flüchtlingssituation: Ich bin überzeugt davon, dass die Zuwanderung von Flüchtlingen aus den aktuellen Kriegsgebieten ein Konjunkturpaket mit großem Potential ist, eines, wie wir es uns eigentlich nicht besser wünschen können.

Zum einen entstehen Arbeitsplätze in Wirtschaft und Verwaltung, an Schulen, in Kitas und bei der freien Wohlfahrtspflege, zum anderen wird mehr in unsere Sozialversicherungssysteme eingezahlt, zudem wird die Nachfrage nach Konsumgütern signifikant angeregt, haben doch die Neubürger in der Regel alles verloren und großen Nachholbedarf auf allen denkbaren Gebieten.

Dass die Zuwanderung positiven Einfluss auf unsere demografische Entwicklung hat, ist klar und allgemein anerkannt, die meisten der ankommenden Flüchtlinge sind deutlich unter 35 Jahre alt. Da sind natürlich Spracherwerb und berufliche Qualifikation die Schlüssel dafür, dass einem langen Arbeitsleben in Deutschland nichts entgegensteht.

Und, ja, das kostet, Spracherwerb und berufliche Qualifikation kosten Geld. Für gelungene Integration sind selbstverständlich entsprechende Investitionen nötig. Und, ja, es kostet auch, 220 Kita-Plätze neu einzurichten, für die Kinder, die uns allen willkommen sein sollten. Und, ja, es kostet auch, 31 neue Mitarbeiter*innen einzustellen. Wobei natürlich noch mehr Mitarbeiter*innen auch noch besser wären, könnten sie doch die unschöne Überbelegung in den Kita-Gruppen weitgehend kompensieren.

Hier darf einfach nicht am falschen Platz und völlig zukunftsblind gespart werden. Wir GRÜNEN freuen uns jedenfalls auch über den ganz jungen Zuwachs, sei es ein Flüchtlingskind oder, aufgrund der erfreulicherweise neuerdings wieder steigenden Geburtenraten, der Nachwuchs unserer hier lebenden Bürger*innen.

Die Jugend ist unser aller Zukunft, hier kann und können keine Anstrengung, keine Aufwendung und keine rentierlichen Kosten zu viel sein, also nochmal: schwarze Null und Schuldenbremsen wider besseren Wissens gehören auf den Prüfstand einer modernen Gesellschaft.

Auch müssen die gegenseitigen Vorhaltungen von Bund, Land und Kommunen hinsichtlich fehlender finanzieller Beteiligung ein Ende haben. Die immer größer werdenden finanziellen Herausforderungen stemmen wir nicht mit gegenseitigen Vorwürfen, sondern nur gemeinsam.

Ja, derzeit ist die Unterstützung durch Land und Bund für die kommunale Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen noch nicht auskömmlich, aber es sind deutliche Verbesserungen für die Kommunen erreicht worden. Für das Übergangsjahr 2016 erhalten wir eine Jahrespauschale von 10.000 Euro pro Flüchtling sowie für Personen mit geduldetem Aufenthaltsstatus. Zudem können wir zehn Prozent mehr Landeshilfe für unseren Haushalt in Anspruch nehmen als ursprünglich vorgesehen. Im Jahr 2017 erfolgt dann eine monatlich, spitzabgerechnete Pauschale.

Dieses Verfahren ist mit den kommunalen Spitzenverbänden abgestimmt. Und nur so kann es doch gehen, dass man sich zusammensetzt und gemeinsam nach Lösungen sucht und Absprachen und Zielvereinbarungen trifft.

Da ist es dann wenig dienlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, dass ihre Bundes- und Landtagsabgeordneten Schummer, Berger und Optendrenk im Kreis durch die Presse tingeln, Schuldige suchen und den finanziellen kommunalen Kollaps durch die Kosten für Flüchtlinge suggerieren.

Und, Herr Dr. Schrömbges, es ist dann auch wenig dienlich, eine Zahl von 18.000 Euro in den Raum zu stellen, die uns ein Flüchtling im Jahr kosten würde. Um dann, auf Nachfrage der grünen Ratsfraktion, klein beizugeben und zuzugeben, dass ein Flüchtling die Stadt Viersen jährlich lediglich 12.000 Euro kostet.

Ein solches Agieren ist nicht geeignet, Sorgen und Vorbehalte in der Bevölkerung zu verringern, es ist Argumentationshilfe für all diejenigen, die empfänglich sind für Ressentiments oder schon eine Abwehrhaltung gegenüber Flüchtlingen an den Tag legen. Ich stelle fest, dass der überwiegende Teil dieser 12.000 Euro jährlichen Aufwandes für einen Flüchtling durch die 10.000 Euro von Bund und Land gedeckt sind.

Genauso wenig dienlich ist es, Herr Dr. Schrömbges, Bürger*innen die Wohnraum für Flüchtlinge anbieten, abzuwimmeln mit dem Hinweis, es bestünde derzeit kein Bedarf und die kommunalen Wohnheime seien nicht voll belegt.

Dies brüskiert die Bürger*innen, konterkariert ihre Hilfsbereitschaft und erschwert unnötig die Lebenssituation von Flüchtlingen — für die ein Leben in einer kommunalen Notunterkunft sicher kein Zuckerschlecken ist.

Meine Damen und Herren, wir GRÜNEN haben uns gegen die Container-Siedlung Im Buschfeld ausgesprochen. 300 Menschen auf engstem Raum auf der grünen Wiese, fernab jeglicher Infrastruktur, das fördert Integration jedenfalls nicht. Zudem haben wir erhebliche Zweifel an den Prognosen hinsichtlich der Flüchtlingszuweisung und damit generell an der Notwendigkeit dieser Einrichtung.

So können wir nur hoffen, dass wir für das Jahr 2016 nicht zu viele Plätze vorhalten, um dann Häuser und Wohnungen leer räumen zu müssen, nur um das teuer bezahlte Containerdorf mit Bewohnern zu füllen und so auszulasten.

Ich gehe davon aus, dass die Verwaltung weitsichtig genug war, für einen solchen Fall ein Sonderkündigungsrecht bzw. die Rückabwicklung des Vertrages mit dem Containerlieferanten zu vereinbaren?

Ich erinnere an das WILLKOMMEN in ihrer ersten Neujahrsansprache, Frau Bürgermeisterin, und appelliere persönlich an Sie, Frau Anemüller, sich bezüglich der Unterbringungssituation genau an Ihrem Wahlprogramm zu orientieren und demgemäß für eine menschenwürdige, dezentrale, kleinräumige Wohnraumunterbringung der Flüchtlinge in unserer Stadt zu sorgen.

Machen Sie, Frau Anemüller, die Integration der Flüchtlinge zur Chefinnen-Sache.

Lassen Sie mich noch einige Worte zur Gesundheitskarte sagen. Die mitunter geschürte Sorge, kranke und traumatisierte Flüchtlinge könnten das Gesundheitssystem über Gebühr belasten, werden durch die bisher vorliegenden Zahlen entkräftet. Die AOK Bremen macht deutlich, dass für einen Flüchtling die jährlichen Gesundheitskosten bei 1600 Euro liegen, bei einer Normalbürger*in liegen die Kosten mit 3900 Euro 2,5 x so hoch. Dies liegt u.a. daran, dass Flüchtlinge im Durchschnitt jünger sind als die deutsche Bevölkerung und eher nicht chronisch krank.

Und, meine Damen und Herren, die Gesundheitskarte bringt aus meiner Sicht "leider" nur eine Verwaltungserleichterung. Auch mit der Gesundheitskarte haben Flüchtlinge, die weniger als 15 Monate in Deutschland sind, nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen ein Anrecht auf oder einen Zugang zu Arztbehandlungen.

Und überhaupt, Frau Ruth von FÜRVIE, werden die Gesundheitskosten vom Staat gezahlt und nicht, wie von Ihnen, Frau Ruth, im Gesundheits- und Sozialausschuss behauptet, durch die Krankenversicherung. Somit zahlen wir mitnichten mit unseren Krankenversicherungsbeiträgen die Gesundheitskosten der Flüchtlinge. Wir GRÜNEN unterstützen die Gesundheitskarte für Flüchtlinge und begrüßen deren Einführung in Viersen.

An dieser Stelle möchte ich gerne all denjenigen danken, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren und mithelfen, sie willkommen zu heißen, sei es durch Sprachkurse, Kinderbetreuung, Begleitdienste, Patenschaften oder gemeinsame Freizeit- und Sportaktivitäten.

Ich möchte nun von der großen Aufgabe, die uns speziell im Bereich der Integration sicherlich noch über Jahre beschäftigen wird, zu weiteren Themen überleiten, die uns GRÜNEN wichtig sind.

Ich fange einmal mit der GMG an.

Ja, es ist richtig, wir GRÜNEN haben auch für die derzeit praktizierte und mit Recht kritisierte Tantiemenregelung gestimmt. Jedoch handelte es sich nicht um einen Fraktionsbeschluss. Einen solchen konnte es nicht geben, da die Tantiemenregelung aufgrund einer Tischvorlage, ohne Beratung in den Fraktionen, beschlossen wurde.

Ich will also hier die GRÜNEN keinesfalls reinwaschen. Es gibt gute Gründe, dem Geschäftsführer einer Grundstücksmarketinggesellschaft ein attraktives Gehalt zu zahlen. Die Ansiedlung von Gewerbe ist ein hartes Geschäft, die Konkurrenz unter den Kommunen groß.

Aber, wovon wir Ratsmitglieder natürlich nicht ausgehen konnten ist, dass der Wirtschaftsförderer seine Nebeneinkünfte nicht, wie gesetzlich vorgesehen, seinem Arbeitgeber der Stadt Viersen, angezeigt hat.

Dies geht freilich so nicht. Hier sind klare Konsequenzen, ist ein klarer Schlussstrich erforderlich.

Meine Damen und Herren, Wir GRÜNEN wollen die GMG, so wie sie derzeit strukturiert ist, so nicht mehr!

Wir möchten die GMG neu aufgestellt wissen, und zwar als reine Stadtentwicklungsgesellschaft.

Wir wollen auch keine Personalunion Wirtschaftsförderer / Geschäftsführer GMG mehr.

Lassen sich die zwei Funktionen Geschäftsführer GMG / Wirtschaftsförderer Stadt Viersen wirklich sauber trennen?

Wir GRÜNEN sind der Meinung, hier muss eine Trennung her, mit der sich dann auch alle weiteren Überlegungen zu zukünftigen Tantiemen für zukünftige Wirtschaftsförderer erledigen.

Meine Damen und Herren, haben Sie sich schon mal vor Augen geführt, was es in diesem Zusammenhang bedeutet, wenn wir einen großflächigen Produktions- und Lagerbetrieb im Gewerbegebiet Mackenstein auf 10ha entstehen lassen?

Dies spült voraussichtlich 7 Millionen Euro in die Kasse der GMG und hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Tantiemen des Geschäftsführers / derzeit in Personalunion auch Wirtschaftsförderer.

Und lassen Sie mich noch grundsätzlich etwas zu der geplanten Ansiedlung sagen: Wir GRÜNEN unterstützen diese nicht.

Uns ist nicht in ausreichendem Maße geprüft worden, ob nicht bestehende Flächen oder Industriebrachen, nach einer Aufbereitung, also Abriss vorhandener Aufbauten, genauso infrage kämen und dadurch die Versiegelung zusätzlicher Flächen entfiele.

Lassen Sie mich zum Schluss noch zu zwei ur-grünen Themen kommen.

Die Stichpunkte lauten Radwege und Bäume.

Fangen wir mit den Radwegen an - die in großen Teilen eine Katastrophe sind. Lassen Sie mich zwei herausgreifen. Die Radwege zwischen Dülken und Viersen sowie Dülken und Boisheim. Entweder man schlägt sich die Zähne aus, macht sich das Rad kaputt oder verliert den Inhalt seines Fahrradkorbes, weil vor lauter Huckelei aufgrund der Unebenheiten das Rad vorne oder hinten hoch springt. Nein, meine Damen und Herren, es ist auch keine Alternative diese Strecken durchs Feld zu fahren, wie uns im Verkehrsausschuss geraten wurde.

Radfahrer*innen gehören als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer*innen endlich auch in Viersen akzeptiert und wahrgenommen. Dies gilt auch für Fußgänger*innen, die sich die schlechten, viel zu schmalen Rad- und Fußwege oft teilen müssen.

Um der Tradition meiner Haushaltsreden gerecht zu bleiben, möchte ich in diesem Zusammenhang auch den innerstädtischen Erschließungsring erwähnen.

Dort können Radfahrer*innen vom Radparkplatz hinter dem Bahnhof nicht ordnungsgemäß links abbiegen und müssen mehrere 100m Umweg fahren. Bushaltestellen werden mitten auf dem Radweg gebaut, Bettelampeln sind vom Radweg aus nicht zu erreichen, Übergangswege mit ganzen 4 Sekunden-Grünphase lassen Niemanden sicher die Straße überqueren.

Zum Schluss das Thema "Bäume". Die Stadt Viersen wehrt sich gegen Pappel-Anpflanzungen. Hier können wir GRÜNEN nur froh sein, dass der Kreis im Rahmen der Neuordnung der Landschaftspläne Pappel-Anpflanzungen ausdrücklich berücksichtigt.

Liebe Verwaltung! Es sind auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Bäume ohne jede Ankündigung und Vorabinformation gefällt worden. Ersatzpflanzungen konnten nicht beobachtet werden.

Ja, Frau Bürgermeisterin, sie haben Besserung gelobt. Und tatsächlich findet man in jüngster Zeit Mitteilungen in der Presse über anstehende Fällungen. Das war's aber auch schon mit der Transparenz. Denn, ob die Fraktionen im Vorfeld informiert werden, unterziehen Sie einer Prüfung, Frau Anemüller. Ich weiß nicht, was hier geprüft wird und wann diese Prüfpraxis beendet wird.

Ich weiß aber, was wir GRÜNEN wollen.

Wir GRÜNEN und die Bürgerinnen und Bürger wünschen, ja fordern, eine umfassende Information mit folgendem Inhalt: Welche und wie viele Bäume sollen wo und wann gefällt werden? Aus welchen Gründen? Ist fachlich dokumentiert und begründet, ob und woran die Bäume erkrankt sind? Wo und in welchem Umfang finden Ersatzpflanzungen statt?

Wenn Sie den Baumschutz ernstnehmen, Frau Kamper, setzen Sie sich beim Rat endlich für eine Baumsatzung ein. Wir GRÜNEN lassen auch im 17. Jahr nicht von der Forderung nach einer Baumschutzsatzung ab. Sie sehen, meine Damen und Herren, es gibt viele Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Ich hoffe, dass uns dies gemeinsam gelingt im Sinne und im Interesse unserer Bürger*innen, ob zugewandert oder Alteingesessen.

Ich danke den Mitarbeiter*innen der Kämmerei für die Aufstellung des Haushaltsplanes

Und Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit.

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