Viersen Hier steht die Seele im Mittelpunkt

Viersen · Wer an einer Depression leidet, der scheut oftmals den Gang zum Therapeuten. Thomas Seelert setzt in einem Modellprojekt der Psychiatrischen Hilfsgemeinschaft (PHG) Viersen deshalb auf Hilfe von Betroffenen für Betroffene.

 Über Gespräche versucht Thomas Seelert (rechts) Menschen mit seelischen Problemen zu helfen. Er folgt dem Prinzip „Hilfe von Betroffenen, für Betroffene“.

Über Gespräche versucht Thomas Seelert (rechts) Menschen mit seelischen Problemen zu helfen. Er folgt dem Prinzip „Hilfe von Betroffenen, für Betroffene“.

Foto: Busch, Franz-Heinrich

"Bei ihnen muss ich mich nicht erklären" - so lautet die Rückmeldung, die Thomas Seelert (39) am häufigsten erhält. Wo Angehörige von Menschen, die an Depressionen leiden, oft nur hilflos daneben stehen, kann Seelert die Gefühlswelt der Betroffenen nachempfinden. Dabei ist er weder Arzt, noch Therapeut, sondern Betroffener: Er selbst litt an einer schweren Form der Depression und hat mehrere Klinikaufenthalte, Gespräche mit Therapeuten und Erfahrungen in Selbsthilfegruppen gesammelt. Jetzt will er Betroffenen helfen und die Krankheit rausholen aus einer Stigmatisierung. Sein Motto lautet: Im Seelenleben gibt es eine Logik.

Angefangen hat Seelerts ganz persönliche Krankheitsgeschichte im Jahr 2008: Damals hatte der heute 39-Jährige einen gut bezahlten Job, jettete geschäftlich durch Europa und war durchweg erfolgreich. Dass er längst in einer seelischen Krise steckte, bemerkte er erst, als er eine Woche lang krank zu Hause war. "Plötzlich habe ich alles abgeblockt", sagt Seelert. Er sei unfähig gewesen, am Alltag teilzunehmen und habe regelrecht Panik empfunden bei dem Gedanken, wieder arbeiten gehen zu müssen. "Was ich vor lauter Arbeit nicht gelernt habe, ist, gut zu leben", sagt Seelert. Als sein Chef ihn trotz Krankheit bittet, eine Dienstreise nach Barcelona anzutreten, gehorcht er. "Doch dann habe ich die Reißleine gezogen", sagt Seelert. Es folgte ein Therapie-Marathon mit zwei stationären Aufenthalten in Kliniken. Über eine Selbsthilfegruppe fasste Seelert schließlich den Entschluss, eine eigne Gruppe zu gründen. So gelangte er schließlich an die Psychiatrische Hilfsgemeinschaft (PHG) Viersen.

Für die PHG bietet Seelert jetzt Hilfe "Von Betroffenen für Betroffene" an. Finanziert wird das im Kreis einzigartige Modellprojekt für eine Laufzeit von drei Jahren vom Landschaftsverband Rheinland. Und die Resonanz ist überwältigend: "Wir werden überrollt von Anfragen", sagt Seelert und fügt hinzu: "Unsere Sache wird gebraucht und schließt eine wichtige Lücke im System." Als Betroffener bietet eine andersartige Möglichkeit der Hilfestellung und des Austauschs. Und das nicht etwa in einer Klinik-Atmosphäre, sondern dort, wo die Klienten mit dem 39-Jährigen sprechen möchten. "Das ist mal zu Hause, mal in den Räumen der PHG oder auch in einem Café", sagt Seelert.

Sein Schlüssel zur Seele der Klienten klingt zunächst simpel: Zeit, Verständnis und ein offenes Ohr für den Betroffenen, ohne etwas austherapieren zu wollen. Mehr brauche es nicht. Und trotzdem scheinen es genau diese Aspekte zu sein, die in Therapien zu kurz kommen. "Eine seelische Krankheit bedeutet nicht automatisch: An dir ist etwas falsch", sagt Seelert und spricht eine häufig verbreitete Annahme unter den Betroffenen aus.

Vieles, was ihm erzählt wird, kann Seelert aus eigener Erfahrung nachempfinden. Zu merken, man ist mit seiner Denkweise, seiner Wahrnehmung und seinen Problemen nicht alleine, helfe den Betroffenen. Im nächsten Schritt geht Seelert mit seinen Klienten auf Ursachenforschung: Was macht den Menschen aus, in welchen Konfliktsituationen befindet er sich. "Ich versuche, Anregungen zu geben. Was wird benötigt, um die Lebensqualität zu steigern", sagt Seelert. Die Initiative müsse letztlich aber immer von dem Betroffenen selbst kommen.

Für das kommende Jahr kann sich Seelert einen Ausbau seines Angebots vorstellen: Eine Sprechstunde in Zusammenarbeit mit umliegenden Kliniken oder eine Tätigkeit als Schnittstelle zwischen Arbeitgeber und erkranktem Arbeitnehmer, wäre ein denkbares Modell für den 39-Jährigen.

(apd)
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