Brüggen/Nettetal Himbeerrote Hundsrute und Heidekeule

Brüggen/Nettetal · Das frühere Depot und seine Gebäude lieferten idealen Nährboden für Pilze. Mehr als 1200 Arten wachsen im heutigen Naturschutzgebiet - manche sind einzigartig. Pilzexperte Karl Wehr stellte sie im Infozentrum Krickenbecker Seen vor.

 Den "Safrangelber Saftling" (Hygrocybe acutoconica persistens) bezeichnet Pilzexperte Klaus Weh als "Orchidee unter den Pilzen".

Den "Safrangelber Saftling" (Hygrocybe acutoconica persistens) bezeichnet Pilzexperte Klaus Weh als "Orchidee unter den Pilzen".

Foto: Karl Wehr

Ein Korallenriff ist nichts dagegen: Kuriose Kreaturen in bizarren Formen und Farben, wie man sie sonst nur von Unterwasseraufnahmen kennt, erstaunen Wanderer und entzücken Forscher: "Das Naturschutzgebiet Brachter Wald ist in Sachen Pilze eine wahre Schatzkiste", schwärmt Karl Wehr und zeigt faszinierende Fotos etwa von der Himbeerroten Hundsrute. Einige Pilzarten sind so selten, dass sie in Deutschland bislang nur im Brachter Wald entdeckt wurden. Von mancher Sensation wusste der Pilzexperte aus Krefeld bei seinem Vortrag im Infozentrum der Biologischen Station Krickenbecker Seen zu berichten.

Sie heißen Keule, Erdzunge und Schneckling, sind weder Tier noch Pflanze, sondern eine Lebensform für sich und kommen besonders häufig und vielfältig im Brachter Wald vor: Pilze. Ausgerechnet in einem Gebiet, das jahrzehntelang als militärisches Munitionsdepot diente und heute noch geprägt ist von kargen Flächen und mageren Böden, von Schotter und Sand. "Mehr als 1200 Arten haben wir seit dem Jahr 2005 im ehemaligen Depot entdeckt", berichtet Karl Wehr.

 Ebenfalls im ehemaligen Munitionsdepot zu finden: "Heidekeule" (Clavulinopsis luteoalba).

Ebenfalls im ehemaligen Munitionsdepot zu finden: "Heidekeule" (Clavulinopsis luteoalba).

Foto: K. Wehr

"Pilzkartierungen im Brachter Wald": So nüchtern der Titel seines Vortrags, so spannend die Erkenntnisse, die der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Pilzkunde Niederrhein dabei vermittelte. Und das mitten im Winter, was einige der fast 50 Zuhörer, darunter Biologen, versierte Pilzsammler und interessierte Laien, erstaunte. "Es gibt ganzjährig Pilze, manche bilden gar erst nach Frostnächten ihre Fruchtkörper aus", sagte der Krefelder.

Der Frostschneckling sei "der Klassiker unter den Winterpilzen", zu denen Fachleute auch Samtfußrübling und Schwefelkopf zählen.

 Die "Himbeerrote Hundsrute" (Mutinus ravenelii).

Die "Himbeerrote Hundsrute" (Mutinus ravenelii).

Foto: k. Wehr

Allein seit Beginn dieses Jahres haben die Forscher um Karl Wehr im Brachter Wald "bereits 32 Neufunde" registriert. Was aber nicht heißen muss, dass diese Pilze nicht schon da waren: "Wir sehen ja nur die Fruchtkörper der so genannten Myzen, die in Erde, Holz, Pflanzen, auf Dung oder als Parasiten in Insektenlarven leben." Einige Pilzarten bilden die Fruchtkörper nur alle paar Jahre aus, wenn die Bedingungen günstig sind, und oft seien sie "nur ein paar Tage oder Stunden zu sehen".

Als das Militär 1996 abzog, blieben Heide-, Wald- und Brachflächen voller Mauern und Bunker zurück. Die Gebäude wurden abgetragen, doch Baureste verblieben im Boden. "Dadurch sind manche Bereiche kalkhaltig. Dort finden wir Pilze, die es sonst nur etwa in Karstgebieten gibt", so Wehr. Täublinge nannte er als Beispiel. Noch zahlreicher seien die Arten an anderen mageren Standorten: "Da haben wir sensationelle Funde gemacht, etwa Wiesenkeulen, Rötlinge und Erdzungen!"

 Sensationsfund im Brachter Wald: der "Blaublättriger Rötling" (Entoloma chalybaeum).

Sensationsfund im Brachter Wald: der "Blaublättriger Rötling" (Entoloma chalybaeum).

Foto: K. Wehr

Manche Arten seien kaum bekannt, erst DNA-Untersuchungen der Funde, durchgeführt von Experten an wissenschaftlichen Instituten, hätten ergeben, dass es sich um Erstbeschreibungen oder bislang unbekannte Varietäten handeln könnte - einmalig in Deutschland. "Den Schmächtigen Rötling als Art zu bestimmen, dafür habe ich fast drei Jahre gebraucht", erzählte Wehr. Wöchentlich, mitunter öfter, seien sie im Depot unterwegs, forschten auch auf allen Vieren: "Manche Pilze sind nur Millimeter groß, andere blatt- oder keulenförmige unter Pflanzen verborgen."

 Faszinierend farbig: der "Rote Knoblauchsaftling" (Hygrocybe helobia).

Faszinierend farbig: der "Rote Knoblauchsaftling" (Hygrocybe helobia).

Foto: K. Wehr

Die Pilzvielfalt im Brachter Wald sei eine Besonderheit dieses Naturschutzgebietes, das auch Lebensräume wie nur in Heide- und Karstgebieten oder Binnendünen bietet. Für Forscher und Pilzsammler ist das Depot ein Paradies, das sie auf mehr als 200 Exkursionen jährlich untersuchen. Neue Funde machten deutlich, wie Pilze sich ausbreiten: "Die Sporen fliegen mit Höhenwinden, gedeihen aber nur dort, wo die Lebensbedingungen stimmen."

Das treffe im Brachter Wald für einige außergewöhnliche Pilze zu, darunter eine Weichbecherchen-Art, über die sich Wehr "als den ersten Fund in Deutschland" freute. Andere Arten glänzten durch wunderschöne Farben und Formen, so der Safrangelbe Saftling, für Wehr "die Orchidee unter den Pilzen".

(jobu)
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