Interview: Udo Schiefner In Berlin nicht die Bodenhaftung verlieren

Viersen · Seit dem 22. Oktober 2013 ist Udo Schiefner der SPD-Bundestagsabgeordnete des Kreises Viersen. Im Interview erzählt von seinen ersten Erfahrungen in der Bundeshauptstadt und von den Zielen seiner Arbeit.

 Udo Schiefner (55) wurde in Kempen geboren. Seit 1975 gehört der begeisterte Hobby-Koch der SPD an.

Udo Schiefner (55) wurde in Kempen geboren. Seit 1975 gehört der begeisterte Hobby-Koch der SPD an.

Foto: NN

Wenn jemand, wie Sie, von Jugend an in einer politischen Partei mitarbeitet und Schritt für Schritt mehr Verantwortung übernimmt - ist dann das Bundestagsmandat so etwas wie das Endziel?

Schiefner Jeder, der etwas ändern und gestalten will, muss sich auf allen Ebenen politisch engagieren. Letztlich gehört ein Sprung nach Berlin dazu, wenn er sich bietet. Mein Ziel war es aber anfangs nie, im Bundestag zu sitzen. Mein Mandat ist das Ergebnis stetiger Entwicklungen und meiner Arbeit und nicht einer lang angelegten Karriereplanung.

Sie gelten als jemand, der enorm gut vernetzt ist innerhalb der SPD.

Schiefner Wenn Sie darauf anspielen wollen, ob das hilft? Ja, natürlich. Aber das fällt einem nicht in den Schoß. Für mich ist besonders wichtig die Zusammenarbeit im Kreis, im Regionalverband Niederrhein, den 15 Unterbezirke und Großstädte im Rheinland und in Teilen des Bergischen Landes bilden und dessen stellvertretender Vorsitzender ich bin und nicht zuletzt mit der Landesebene. In erster Linie bin ich aber auch als Vertreter meines Kreises in Berlin.

Nach acht Monaten werden Sie kaum schon alle Türen geöffnet haben und wissen, was dahinter ist. Wie erleben Sie Berlin?

Schiefner Voraussetzung für eine erfolgreiche politische Arbeit in Berlin ist der Erhalt der Bodenständigkeit. Wer dort die Bodenhaftung verliert, gerät in die Gefahr, im politischen Raumschiff Berlin haltlos zu entschweben. Sie leben dort wie unter einer Glocke in einer anderen Welt. Wer das weiß und sich der damit verbundenen Gefahr der Verführung bewusst ist, hat schon halb gewonnen. Deshalb schöpfe ich in meiner Arbeit aus Lebens- und Berufserfahrung in der freien Wirtschaft, und es ist mir ungemein wichtig, die heimische Vernetzung zu den Menschen zu erhalten.

Sie gehören dem Verkehrsausschuss und dem Petitionsausschuss an. Entsprechen diese Arbeitsgebiete Ihren Wünschen?

Schiefner Ohne Einschränkung - ja. Die Besetzung der Ausschüsse ist Folge eines sehr komplizierten Verfahrens. Ich konnte drei Wünsche äußern, die dann in der SPD-Landesgruppe erörtert wurden. Es gibt dann sehr viele Gespräche auf Fraktions- und Landesgruppen-Ebene, gleichzeitig werden die Ausschüsse und ihre Größe sowie Zusammensetzung festgelegt. Ich habe darauf beharrt, im Verkehrsausschuss mitzuarbeiten. Bleibt man nicht standhaft, dann landet man irgendwo, wo man gar nicht hin will. Ich habe mich da sehr an die verstorbene Marie-Luise Morawietz erinnert, die sagte: "Wenn man Dich vorne hinauswirft, musst Du gleich von hinten wieder hereinkommen, bis du dein Ziel erreicht hast."

Und wie war das mit dem Petitionsausschuss? Den mögen gestandene Parlamentarier nicht und schieben ihn gerne Novizen zu.

Schiefner. Das mag sein, aber ich wollte da hinein.

Na, war er nicht ein bisschen das Kompensationsgeschäft dafür, dass Sie sich im Verkehrsausschuss durchgesetzt haben?

Schiefner Definitiv nicht. Nach Artikel 17 des Grundgesetzes hat jeder Bürger das Recht, sich an den Bundestag zu wenden. Das ist ein hohes Gut und sollte von Parlamentariern entsprechend ernst genommen werden. Mich reizt schlicht die Begegnung mit alltäglichen Problemen von Bürgern quer durch das gesamte Bundesgebiet. Sie beschäftigen sich plötzlich damit, dass eine Krankenkasse einen Rollstuhl nicht genehmigt oder ein Bürger mit einer Behördenentscheidung nicht einverstanden ist, aber nicht mehr weiterkommt. ,Beispielsweise ist das bundesweit diskutierte Thema der Hebammenversicherung, die existenzbedrohende Wirkung entfalten konnte, nicht zuletzt über die Eingabe beim Petitionsausschuss überhaupt erst so richtig auf die Agenda gekommen.

Das allein wird Sie doch nicht gereizt haben?

Schiefner Das ist letztlich ein Kümmern fast wie auf kommunaler Ebene. Die Probleme der Bürger sind die Gewichte, die einen auf dem Boden halten. Ich weiß, dass das keine glamouröse Politik ist, wir stehen nicht täglich vor Kameras und Mikrofonen. Aber es kommen etwa 16 000 Eingaben jährlich. Letztlich vergleiche ich das mit Medikamenten. Auch bei Gesetzen sieht man deren Nebenwirkungen oft erst später bei der praktischen Anwendung. Die Nebenwirkungen landen dann oftmals auf dem Tisch des Petitionsausschusses.

Noch einmal zurück zum Verkehrsausschuss: Um was geht es Ihnen da konkret?

Schiefner Neben der des Landes, will ich mich um die Verkehrsinfrastruktur am Niederrhein kümmern. Es geht um die Entwicklung einer großen Grenzregion, die funktionierende Verkehrswege auf der Schiene und der Straße und die Anbindung ihrer Häfen braucht. Bei einem Besuch im Hafen Rotterdam unlängst ist das noch einmal deutlich geworden.

Sie haben sich kürzlich mit Bert Kersten getroffen. Er ist sozialdemokratischer Deputierte in der Provinz Limburg. In seine Zuständigkeit fallen Arbeitsmarkt, Bildung, Nachhaltigkeit und Energie. Worüber haben Sie beide gesprochen?

Schiefner Wir wollten uns zunächst einmal kennenlernen und dann miteinander über grenzüberschreitende Zusammenarbeit reden. Es gibt einen gewaltigen Nachholbedarf in der Zusammenarbeit gerade in seinen Aufgabengebieten. Darin steckt aber auch ein reizvoller Gestaltungsspielraum. Wir brauchen eine konkrete Agenda für grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Niederrhein bis einschließlich Düsseldorf und Duisburg und dann in Mittel- und Nordlimburg. Die Städteregion Aachen geht mit Maastricht und Lüttich einen vorbildlichen Weg.

Sie sind Mitglied der deutsch-niederländischen Parlamentariergruppe...

Schiefner ...die aber noch nicht gemeinsam getagt hat. Ich freue mich sehr auf die Arbeit dort. Aber ich möchte auf verschiedenen Ebenen grenzüberschreitend arbeiten. Das geht auf der Parteiebene zwischen SPD und PvdA, daran arbeiten wir. Ich kann mir vorstellen, aktiv in der Euregio Rhein-Maas-Nord mitzuwirken. Darüber werden wir parteiintern reden. Konkret sollten die weitere Harmonisierung des Arbeitsmarktes und vor allem der Bildungsabschlüsse angesprochen werden. Manchmal ist es sinnvoller, von unten nach oben zu gehen als darauf zu warten, dass "ganz oben" Themen angepackt und entschieden werden.

Sie sind als Parlamentarier selbst in einem Betrieb tätig, dem man keine exorbitanten Geschwindigkeiten nachsagen kann.

Schiefner Das stimmt. Ich habe in der freien Wirtschaft für eine große Brauerei gearbeitet. Da müssen Entscheidungen schnell getroffen und umgesetzt werden. Politik braucht erheblich länger, nichts geht von heute auf morgen. Tempo ist eine Frage der Prozessgestaltung. Da spielt neben großer Gründlichkeit eine allseitige bürokratische Absicherung oft die Hauptrolle.

Wie erleben Sie die praktische Arbeit in Berlin?

Schiefner Sie ist sehr spannend. So gehöre ich auch dem SPD-Fraktionsvorstand an. Ich vertrete da vor allem den Petitionsbereich. Es gibt im Alltag eine sehr gute, sachbezogene Zusammenarbeit sowohl unter den Koalitionspartnern als auch mit den beiden Oppositionsfraktionen. Mit einem CDU-Kollegen arbeite ich gerade sehr vertrauensvoll an einem verkehrspolitischen Thema. Ich bin auch sehr gerne ein parlamentarischer Vertreter im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, dessen Präsident Markus Meckel ist.

Wo ordnen Sie sich innerhalb der SPD ein?

Schiefner Ich mag so pauschale Zuordnungen eigentlich nicht. In sozialpolitischen Fragen stehe ich beispielsweise der Parlamentarischen Linken sehr nahe, und auch im Seeheimer Kreis gibt es Positionen, denen ich folgen kann. Was die Einladungen von Lobbyistenkreisen an uns Abgeordnete betrifft, halte ich mich insgesamt sehr zurück mit der Teilnahme. Allerdings muss schon ein Meinungsaustausch stattfinden. Man muss aber auch nicht auf jeder Abendparty tanzen oder gar Veranstaltungshopping machen. Das ist nicht mein Ding.

LUDGER PETERS FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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